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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Restaurant betrat, wandte Frank sich zu Sean und sagte bestimmt: »Vergessen Sie nicht, O’Donnell, irgendwas Illegales, und ich gehe.«
    »Keine Sorge«, sagte Sean. »Vertrauen Sie mir.«
    Sean O’Donnell war zu einem sehr eleganten Herrn geworden. Nichts erinnerte mehr an den »Teufel« von einst, wie Mary, seine Schwester, ihn genannt hatte. Sein Gesicht war glatt rasiert, sein Haar noch voll, aber silberfarben. Er trug einen tadellos geschnittenen perlgrauen Anzug. Der Knoten seiner Fliege saß perfekt, und die Knöpfe an seiner Hemdbrust bestanden aus zierlich gefassten Diamanten. So blank poliert, wie seine Schuhe waren, konnte man sich kaum vorstellen, dass deren Besitzer eine Gosse je auch nur von Weitem gesehen hatte. Er hätte auch ein Bankier sein können. Sicher, ihm gehörte der Saloon nach wie vor, und er ließ sich auch von Zeit zu Zeit dort blicken, aber er wohnte schon seit fast zwanzig Jahren nicht mehr dort. So lange besaß er nämlich bereits ein Haus an der unteren Fifth Avenue – keinen Palast zwar, jedoch so groß wie Masters Haus in Gramercy Park. Sean O’Donnell war ein reicher Mann.
    Wie hatte er das erreicht? Master konnte sich das ziemlich genau denken. Während Fernando Wood wusste, wie man die Stadtverwaltung nach Strich und Faden ausnahm, und sein Nachfolger, der große Boss Tweed von Tammany Hall, diese Geschäftsmethode zur Kunstform erhob, war es O’Donnell gelungen, den beiden – erst dem einen, dann dem anderen – die ganze Zeit über geschäftlich nahe zu bleiben und davon unmäßig zu profitieren. Er hatte es geschafft, in der unaufhaltsam wachsenden Stadt Aberdutzende von Grundstücken zu erschließen und sie dann mit gewaltigem Gewinn zu vermieten oder weiterzuverkaufen. »Ich habe noch keinen einzigen ›gepolsterten Vertrag‹ bekommen«, erklärte Sean stolz. Tweed hatte damit die Stadt um Millionen gerupft. »Wohl aber hat er mir erlaubt, 10000 Dollar in seine Druckerei zu investieren.« Anschließend schanzte Tweed sämtliche städtischen Druckaufträge – zu überhöhten Preisen – seiner Druckerei zu. »Ich habe auf eine Investition von 10000 Dollar jahrelang eine Dividende von 75000 Dollar ausgeschüttet bekommen«, gestand Sean.
    Und als Tweed aufflog und sein engster Kreis in Ungnade fiel, schaffte O’Donnell es wie viele andere, seine Spuren zu verwischen und unbehelligt weiterzumachen.
    Und dann gab es da noch die Geschäfte mit der Wall Street.
    Dort waren Männer wie Gabriel Love zu Hause.
    Gabriel Love war beleibt. Er saß Frank Master gegenüber, und seine wässrig blauen Augen ruhten milde auf Franks Gesicht, während sein weißer Rauschebart wie ein Wasserfall die gewaltige Ausdehnung seines Bauches, der sich an die Tischkante schmiegte, hinabwallte.
    Jeder kannte Mr Gabriel Love. Er sah wie der Weihnachtsmann aus, und die Geldgeschenke, mit denen er wohltätige Stiftungen der Stadt bedachte, waren legendär. Er galt als begeisterter Gottesdienstbesucher und sang die Kirchenlieder mit einem hohen, fast falsettartigen Tenor. Seine Taschen waren immer voller Süßigkeiten für Kinder. »Daddy Love« nannten ihn die Leute. Es sei denn natürlich, sie waren Opfer einer seiner verheerenden finanziellen Transaktionen geworden. Dann schimpften sie ihn den Baissespekulanten.
    Gabriel Love begrüßte Master höflich. Als die Kellner das Essen brachten, verkündete er, dass er ein Tischgebet sprechen würde, was er dann mit ehrfürchtiger Stimme auch tat. Anschließend überließ er es Sean, den Löwenanteil der Konversation zu bestreiten, bis er ein Hähnchen vollständig aufgegessen hatte. Erst dann wandte er sich zu Frank und erkundigte sich:
    »Wetten Sie gern, Mr Master?«
    »Gelegentlich«, sagte Master vorsichtig.
    »Wie ich die Sache sehe«, erklärte Gabriel Love, »ist ein Wall-Street-Mann der geborene Zocker. Ich habe schon Männer den ganzen Nachmittag lang Wetten darüber abschließen sehen, welcher Regentropfen an einer Fensterscheibe als Erster unten ankommen wird.« Er nickte gedankenversunken. »Ein Wall-Street-Mann ist außerdem gierig. Woran nichts auszusetzen ist. Ohne Gier, pflege ich immer zu sagen, gäbe es keine Zivilisation. Aber der Wall-Street-Mann hat nicht die Geduld, den Boden zu beackern oder Dinge herzustellen. Er ist gescheit, jedoch ohne Tiefgang. Er investiert in Unternehmen, bei denen es ihn eigentlich nicht weiter interessiert, was sie sind oder was sie tun. Was er will, ist auf sie wetten. Die Wall Street wird immer voll

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