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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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konnte.
    »Die Einberufungskrawalle?«
    »Exakt. Der dritte Tag. Mittwoch.«
    »Warum nennen Sie es ›Hudson Riven? Der Fluss ist doch kaum zu sehen.«
    »Weil das der Name des Mannes da ist.«
    Auf dem Bild war eine einzige Gestalt zu sehen: ein geschwärztes Bündel, das an einem Baum hing. Geschwärzt, weil der Mann gelyncht und anschließend verbrannt worden war. Man konnte schon fast sagen, verkohlt.
    »Er hieß Hudson River?«
    »Ja. Er arbeitete in einem Saloon, für Sean O’Donnell.«
    »Den Iren kenne ihn.«
    »O’Donnell hatte ihn im Keller versteckt. Er bekam gar nicht mit, wie er ausbüxte. Er schätzt, dass er sich da unten einen angetrunken hat, oder vielleicht hielt er einfach die Langeweile nicht mehr aus: Er harrte drei Tage da unten aus. Aus welchem Grund auch immer – der junge Hudson River schlich sich aus dem Haus. Er muss sich durch den Battery Park geschlagen und dann nach Norden gewandt haben, die West Side hinauf. Dort erwischten sie ihn. Sie haben an dem Tag eine ganze Menge Schwarze erwischt. Knüpften ihn an dem Baum da auf und ihn steckten ihn in Brand.«
    Horace Slim ging wortlos weiter.
    »Das sieht ja seltsam aus«, bemerkte er vor einer anderen Photographie. »Was ist das?«
    »Eigentlich ein Experiment«, sagte Theodor. »Ich war zu der Zeit bei General Grants Armee. Die Kamera blickt durch ein Vergrößerungsglas, hinter dem sich das Objekt befindet, und was Sie sehen, ist die vergrößerte Abbildung des Objekts.«
    »Ich verstehe. Aber was ist das?«
    »Das ist ein Bleigeschoss. Ein Projektil. Ich habe das Geschoss längs aufgeschnitten, sodass man seinen inneren Aufbau nachvollziehen kann. Wie Sie erkennen können, ist das Geschoss nicht durchgehend massiv, sondern weist an seinem unteren Ende eine Höhlung auf. Ursprünglich die Erfindung eines Franzosen namens Minié – weswegen man es Minié-Geschoss nennt. Wie Sie wahrscheinlich wissen, ließ die Zielgenauigkeit der alten Vorderlader mit nicht gezogenen Läufen, außer auf kurze Distanz, sehr zu wünschen übrig. Aber die Büchse versetzt das Geschoss durch die spiralförmigen Züge an der Innenseite des Laufs in eine Drehung um die eigene Längsachse, die es stabilisiert und damit auch auf längere Distanz treffsicher macht.«
    »Und die Vertiefung im Boden des Geschosses?«
    »Das Geschoss ist unterkalibrig, was das Laden erleichtert; wenn die Treibladung explodiert, weitet sich der Hohlboden durch den Gasdruck auf Kalibermaß, sodass das Geschoss durch die Züge einen Drall erhält und gleichzeitig – durch Abdichtung des Laufs – den Impuls der Treibladung nahezu verlustfrei übernimmt. Diese kleine Vertiefung hat Tausende das Leben gekostet.«
    »Brillant. Die Photographie, meine ich.« Er ging weiter. »Und dieses Paar auseinandergefallene Schuhe?«
    »General Ulysses Grant zeigte sie mir höchstpersönlich – hell empört. Sie kamen auch noch aus New York. Man würde annehmen, dass sie Jahre alt sein mussten, um derart zu zerfallen, aber sie waren keine Woche alt.«
    »Ich verstehe. Minderwertige Ware.«
    Es war einer der größten Skandale der Kriegszeit. Profitmacher, etliche von ihnen aus New York, hatten von der Armee Lieferverträge bekommen und lieferten Schund – Uniformen, die an den Nähten auseinanderfielen, und, was das Schlimmste war, Stiefel, die so aussahen, als seien sie aus Leder, deren Sohlen aber tatsächlich aus Presspappe bestanden. Beim ersten Regen verwandelten sie sich zu Brei.
    »Das hier könnte Sie auch interessieren«, sagte Theodor und führte den Journalisten zu einer anderen Photographie, die zwei Plakate zeigte.
    »Ich habe sie an zwei verschiedenen Orten gefunden und sie dann nebeneinander aufgehängt.« Beide Plakate erklärten, wie viel Sold die Unionsarmee Freiwilligen zahlte. »Sie werden sich erinnern, wie sehr sich unser eigener Staat dagegen sträubte, überhaupt Schwarze in die Armee aufzunehmen. Aber natürlich waren die schwarzen Regimenter im weiteren Verlauf des Krieges mit das Beste, was die Union vorzuweisen hatte.«
    Die Plakate sprachen für sich. Einem weißen Gemeinen wurden 13 Dollar pro Monat und eine Kleiderzulage von 3,50 Dollar angeboten. Der schwarze Gemeine bekam 10 Dollar und 3 Dollar Kleiderzulage.
    »Und was bezwecken Sie mit diesem Bild?«, fragte der Journalist. »Wollen Sie Empörung auslösen?«
    »Nein«, sagte Theodor, »es ist lediglich eine kleine ironische Anmerkung. Ich möchte wetten, dass ein Großteil der weißen Soldaten diese

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