Im Rausch der Freiheit
von jungen Männern sein, die Wetten abschließen.«
»Jungen Männern?«, sagte Sean. »Und was ist mit den älteren Männern, Gabriel?«
»Ah. Tja nun, wenn ein junger Mann älter wird, gründet er eine Familie, übernimmt Verantwortung. Und dadurch ändert er sich – das liegt einfach in der menschlichen Natur. Man sieht es auf der Straße auf Schritt und Tritt. Ein Mann mit Verpflichtungen wettet anders. Er geht anders vor.«
»Inwiefern anders?«
Gabriel Love fixierte sie beide, und plötzlich schienen seine blassblauen Augen härter zu werden.
»Er hilft dem Glück nach«, sagte er scharf.
Er hatte es gewusst. Als Frank Gabriel Loves trügerischen weißen Rauschebart anstarrte, sagten ihm alle seine Instinkte, dass es Zeit sei zu gehen.
Sean O’Donnell war eine Sache. Sean mochte imstande sein, einen zu töten, aber nicht, wenn man auf seiner Seite stand. Das Schicksal hatte sie – erst durch Mary, dann auch über andere Kanäle – aneinander gebunden. Sean konnte er vertrauen. Gabriel Love hingegen war ein anderes Paar Stiefel. Wollte er sich wirklich, in seinem Alter, mit ihm einlassen?
Master war inzwischen zweiundsiebzig Jahre alt. Man sah es ihm nicht an – die meisten Menschen hielten ihn für zehn Jahre jünger. Sein Haar hatte sich gelichtet, und sein Schnauzbart war weiß, aber er war noch immer ein kräftiger, gut aussehender Mann – und nicht wenig stolz darauf. Er ging täglich ins Kontor. Und wenn er, ab und an, einen leichten Schmerz verspürte, ein Gefühl der Enge in der Brust, so tat er es mit einem Achselzucken ab. Falls er alt wurde, wollte er es nicht wissen.
Doch er genoss durchaus den Respekt, den sein Alter und seine lange berufliche Laufbahn ihm eingebracht hatten. Sein Vermögen war beträchtlich, und er konnte es leicht weiter vermehren, ohne unnötige Risiken einzugehen. Zumal es inzwischen Enkel gab, an die er denken musste. Und Gabriel Love hatte ihm gegenüber gerade so gut wie gestanden, dass er etwas Unehrliches im Schilde führte. Er machte Anstalten aufzustehen.
»Meine Herren«, sagte er, »ich bin zu alt, um ins Gefängnis zu gehen.«
Schon lag Sean O’Donnells Hand auf seinem Arm.
»Warten Sie, Frank – mir zuliebe –, hören Sie sich einfach Mr Loves Vorschlag an.«
*
Eine Woche später brach Lily de Chantal in ihrer Kutsche auf und machte sich von Dakota aus auf den Weg zum Gramercy Park.
Dakota. Nach wie vor kein Staat, sondern eine ungeheure, wüste Wildnis. Aber als der Bauunternehmer Edward Clark ein paar Jahre zuvor an der Westseite des Central Park, oben auf Höhe der 72nd Street, ein riesiges frei stehendes Etagenhaus errichtet hatte, nannte er es »Dakota«. Mr Clark schien ein Faible für indianische Namen zu haben, denn ein anderes Etagenhaus von ihm trug den Namen »Wyoming«, und er hatte gehofft, einen der Boulevards auf der West Side »Idaho Avenue« nennen zu können. Abgelegen, von Blocks umgeben, die, abgesehen von ein paar kleinen Läden und Hütten, noch unbebaut waren, hätte das wuchtige Dakota für die elegante Gesellschaft tatsächlich in irgendeinem fernen Territorium liegen können.
»Niemand wohnt da oben, um Himmels willen«, sagten sie. »Und überhaupt – wer lebt schon in einer Wohnung?«
Die Antwort darauf war ganz einfach. Bis vor ein paar Jahren hatten nur arme Leute in geschossweise aufgeteilten Mietshäusern oder gar in Mietskasernen gewohnt, bei denen sogar die einzelnen Stockwerke in verschiedene Wohnungen aufgeteilt waren. Prächtige, herrschaftliche Wohnungen mochte es in großen europäischen Hauptstädten wie Wien und Paris geben. Nicht aber in New York. Die Leute, die man kannte, wohnten in Häusern.
Doch es gab bereits Anzeichen von Veränderung. Elegante Mietshäuser entstanden in der Stadt – wenngleich keines davon so prunkvoll wie das Dakota. Das Gebäude – eine scheunenartige Interpretation der französischen Renaissance – blickte recht trübsinnig über den Central Park und den Teich hinweg, auf dem die Leute im Winter Schlittschuh liefen. Allerdings besaß es, wie man zugeben musste, seine Vorteile.
Abgesehen von den monumentalen indianischen Motiven, mit denen Mr Clark das Gebäude ausschmücken ließ, waren die Wohnungen riesig und wiesen genug Dienstbotenquartiere auf. Mit ihren hohen Decken standen die Empfangszimmer der größten Wohnungen denjenigen in den meisten Stadtpalais nicht nach. Und bald wurde den Leuten noch etwas anderes bewusst: Diese Wohnungen waren recht praktisch. Wenn
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