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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Zylinder. Die Erklärungen ergaben überhaupt keinen Sinn. Normalerweise wäre er längst in den Maschinenraum gegangen, um sich selbst ein Bild zu machen – er kannte sich mit Sicherheit nicht schlechter aus als der Schiffsingenieur. Aber er fühlte sich alt und niedergeschlagen, deswegen blieb er still sitzen und nippte in Abständen an seinem Brandy. Die meisten anderen Passagiere hatten sich in ihre Kabinen zurückgezogen. Drei, vier saßen plaudernd zusammen in der Bar.
    Um sieben Uhr fragte er sich, ob er nicht die ganze Sache abblasen und nach Hause fahren sollte. Wenn es nur um Donna Clipp gegangen wäre, hätte er es getan. Doch da war ja noch die Sache mit Gabriel Love und der Eisenbahn. Dass er die Stadt verlassen sollte, galt nach wie vor. Also versuchte er nur daran zu denken, wie viel er an der Hudson Ohio Railroad verdienen würde, schenkte sich Brandy nach und starrte eine weitere Stunde lang grimmig in sein Glas. Genau in diesem Moment, erinnerte er sich, erfuhr Cyrus MacDuff oben in Boston von Gabriel Loves Anschlag auf seine Eisenbahn. Wenigstens einer, dachte er, erlebte einen noch schlimmeren Abend als er. Schon bald, nahm er an, würde MacDuff versuchen, ihn telegraphisch zu erreichen. Und ihn nicht finden. Dieses verfluchte Schiff war sein Versteck für die Dauer dieses Abenteuers. Er mochte einsam sein, aber er war unsichtbar. Dieser Gedanke heiterte ihn etwas auf.
    Um acht kündigte der Kapitän an, dass sie bald ablegen würden. Frank Master warf einen weiteren vergeblichen Blick über den Pier, setzte sich dann an einen Tisch und bestellte eine Fleischpastete mit Gemüsebeilage. Wenigstens darauf brauchte er nicht lange zu warten.
    Um neun flüsterte ihm der Kapitän zu, der Schaden sei behoben und sie müssten nur noch die Maschine Probe laufen lassen. Frank entgegnete ziemlich unhöflich: »Sagen Sie mir, wenn’s erledigt ist«, und entließ ihn mit einer Handbewegung. Er hörte die Maschine erst anspringen, dann wieder verstummen. Kurz vor zehn sprang sie erneut an. Diesmal blieb sie nicht stehen, und ein paar Minuten später schob sich das Schiff hinaus in den Strom und wurde von der gewaltigen schwarzen Regenwand verschluckt.
    *
    Donna Clipp hatte die Nase gestrichen voll. Dieser Frank Master konnte sich achtkantig zum Teufel scheren. Sein Brief war eindeutig gewesen.
     
    Liebe Clipper, es hat sich eine Planänderung ergeben. Wir treffen uns in Henry’s Hotel in Brooklyn.
    Ich werde so früh wie möglich nach drei da sein. Wir fahren nach Long Island.
    Ich kann’s nicht erwarten, dich zu sehen.
    EM.
     
    Typisch, dachte sie. Kann’s nicht erwarten, mich zu sehen, und kreuzt dann nicht auf. Die Männer waren doch alle gleich – und sie konnte es wahrhaft beurteilen. Sie hatte eine ganze Reihe kennengelernt.
    Einige von ihnen mit Geld. Die älteren jedenfalls – aber die knauserten oft. Sei es aus Gewohnheit, sei es aus purem Geiz.
    Klar, ein bisschen was ließen die schon immer springen.
    Es war zehn Uhr abends, stockdunkel, und es goss wie aus Kübeln, und sie hockte da in diesem Hotel auf der falschen Seite der Brooklyn Bridge, und von ihrem sogenannten Liebhaber war nichts zu sehen.
    Donna Clipp war ein hübsches Mädchen. Sie hatte dichtes blondes Haar – sogar naturblond – und blaue Augen, die lachen oder vor Leidenschaft lodern konnten, ganz wie sie es wollte. Sie war nie auf den Strich gegangen. Hatte immer anständige Sachen gemacht. Sie hatte Kleider genäht und verkauft, denn sie besaß ein Auge für die Mode. Sie hatte auch ein gewisses Schauspieltalent und versucht, am Theater unterzukommen, aber man bedeutete ihr, sie sei nicht groß genug. Bei Begegnungen der persönlicheren Art waren ihre Körpergröße und ihre eher dralle Figur nie ein Hindernis gewesen, und sie war von mehreren Männern mehr oder weniger ausgehalten worden. Als sie nach New York kam, fand sie in Greenwich Village ein anständiges Logis. Binnen einem Monat hatte sie Frank Master kennengelernt. Aber obwohl sie sich mittlerweile seit einiger Zeit trafen, war ihre bisherige Ausbeute nicht der Rede wert.
    Deswegen überlegte sie sich seit drei Wochen, was sie in der Sache unternehmen sollte.
    Und da war noch was anderes, was ihr in letzter Zeit auf der Seele lag. Vor ein paar Wochen war ein Brief von einer Freundin gekommen, mit der sie sich in Philadelphia ein Zimmer geteilt hatte. Der Brief war vorsichtig formuliert gewesen, aber sie hatte die eigentliche Aussage durchaus verstanden.
    Jemand

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