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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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kann das unmöglich tun, meine Liebe«, hatte Hetty gesagt, »denn wenn Frank jemals davon erfahren sollte, würde er es mir übelnehmen. Aber Sie könnten das tun. Ein Mann kann seiner Geliebten eher verzeihen als seiner Ehefrau. Außerdem«, hatte sie mit einem Lächeln hinzugefügt, »schulden Sie mir, glaube ich, einen Gefallen.«
    Also waren die Aufgaben verteilt worden. Hetty hatte den kurzen Brief geschrieben, Mary hatte die Zustellung arrangiert, und sie, Lily de Chantal, würde jetzt das kleine Miststück zum Teufel jagen.
    Von Hetty mit Stichworten versorgt, hatte Lily ihre Rede gründlich einstudiert.
    »Wie ich Ihnen leider mitteilen muss, Miss Clipp, bin ich im Besitz von Beweisen – unwiderleglichen Beweisen –, dass sie Mrs Linfort in Philadelphia Juwelen gestohlen haben. Ich habe sogar Zeugen, die zweifelsfrei aussagen können, sie nach dem Diebstahl mit den fraglichen Schmuckstücken am Körper gesehen zu haben. Sie werden ins Gefängnis kommen, Miss Clipp. Es sei denn, natürlich, Sie möchten New York noch heute verlassen – und dies, ohne Mr Master ein Wort davon zu sagen. Und sollten sie irgendwann in der Zukunft den Versuch unternehmen, mit ihm in Kontakt zu treten, werden wir uns mit all diesen Beweisen an die Polizei wenden.«
    Danach würde Donna Clipp schleunigst verschwinden. Es würde ihr nichts anderes übrigbleiben.
    Hetty hatte ihr das angestrebte Ergebnis ihres Plans skizziert.
    »Ich möchte, dass Frank glaubt, sie habe ihm den Laufpass gegeben. Sei nicht am Fährhafen erschienen und habe sich dann vor seiner Rückkehr abgesetzt. Das wird ihn zwar in seinem Stolz treffen, fürchte ich, aber es wird ihn auch wieder zur Vernunft bringen. Er wird Trost suchen; er wird zu uns zurückkehren.«
    »Zu uns?«
    »Zu Ihnen, zu mir, zu dem Leben, wie es vorher war. Ich glaube, wir sind zu alt für derlei Haarspaltereien, meinen Sie nicht auch?«
    »Sie«, sagte Lily de Chantal, »sind eine bemerkenswerte Frau, und er kann sich glücklich schätzen, Sie zu haben.«
    »Danke, meine Liebe«, sagte Hetty. »Ich bin ganz Ihrer Meinung.«
    Ja, dachte Lily jetzt, es würde ihr ein Vergnügen sein, die kleine Miss Clipp in die Wüste zu schicken – um ihrer beider willen.
    Daher war sie zutiefst erstaunt, als zwanzig Minuten später der Portier an die Wohnungstür klopfte und fragte, ob sie einen Besucher zu empfangen bereit sei. Und noch erstaunter war sie, hinter ihm, bis auf die Haut durchnässt, Frank Master stehen zu sehen.
    *
    Um ein Uhr nachts entbrannte in Henrys Hotel in Brooklyn ein erbitterter Machtkampf. Zum großen Ärgernis des Direktors hatte Donna Clipp ein Zimmer verlangt, sich aber mit der Begründung, es sei die Schuld des Hotels, wenn sie keine Droschke bekommen habe, geweigert, dafür zu bezahlen.
    »Ich könnte Sie vor die Tür setzen«, hatte er gesagt.
    »Probieren Sie es nur«, hatte sie erwidert. »Sie haben mich noch nie schreien gehört.«
    Er trat zwar trotzdem vor die Tür mit der Absicht, sie rauszuwerfen, aber als er draußen stand, bemerkte er etwas Seltsames. Der Regen ging zunehmend in Schnee über. Und die Temperatur, die die ganze Woche über so angenehm gewesen war, fiel rapide. Er wollte gerade wieder hineingehen, als er aus Richtung des Flusses ein gewaltiges Grollen und Stöhnen hörte. Und eine Sekunde später raste eine heulende Windbö die Straße herauf, knallte mit Fensterläden, bog kleine Bäume und warf den Hoteldirektor mit ihrer eisigen Faust fast zu Boden. Sich an den Türstock klammernd zog er sich zurück ins Vestibül und knallte die Tür hinter sich zu.
    »Hier.« Er gab ihr einen Schlüssel. »Bei dem Wetter kann man niemanden auf die Straße jagen.« Er deutete zur Treppe. »Da rauf. Zweite Tür links.«
    Das Gepäck sollte sie gefälligst selbst tragen.
    *
    Während Frank ein heißes Bad nahm, stand Lily de Chantal an ihrem Fenster und schaute zu, wie der Wind Tornados von Schneeflocken über die freien Flächen des Central Park peitschte. Am Gramercy Park starrte Hetty währenddessen eine Zeitlang ratlos auf ein merkwürdiges Telegramm, das am Abend aus Boston gekommen war und in dem Frank gefragt wurde, ob er beabsichtige, eine Eisenbahn zu verkaufen. Doch als sie das seltsame Heulen und Pfeifen des Windes hörte, zog sie den Fenstervorhang zurück und sah zu ihrem Erstaunen einen Mahlstrom von Schnee, und da hoffte sie, dass dem armen Frank in solch einer entsetzlichen Nacht, fern auf den kalten Fluten des Hudson, nichts zustoßen

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