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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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erleichtern.
    Als also Sean am vorigen Tag angeordnet hatte: »Wir werden uns von unserer allerbesten Seite zeigen, Schwesterchen, wenn du weißt, was ich meine«, war Mary angst und bange geworden.
    »Ich kann nicht lügen, Sean«, hielt sie ihm entgegen. »Ich stell mich da immer äußerst ungeschickt an.«
    »Aber klar doch«, gab er zurück.
    »Was erwartest du eigentlich von mir?«
    »Sei einfach du selbst.«
    »Und was tust du?«
    »Nicht viel.« Er lächelte. »Kann sein, dass ich bei denen den Eindruck erwecken werde, wir hätten unser Geld schon ein bisschen länger, als es tatsächlich der Fall ist – wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ach, ich bin sicher, ich werde in irgendein Fettnäpfchen treten. Lass mich da raus, Sean. Sag denen, ich sei krank.«
    »Blödsinn«, sagte er, »du wirst es prima hinkriegen.«
    Und so schickte sie sich jetzt bangen Herzens an, die Bekanntschaft der Rivers zu machen.
    *
    Die Gäste aus England erwiesen sich als äußerst liebenswürdig. Der junge Gerald Rivers war erst um die fünfundzwanzig und ganz offensichtlich fest entschlossen, die Familie seiner Verlobten sympathisch zu finden. Lord und Lady Rivers waren beide groß, dunkelhaarig und elegant; und was immer sie bei sich denken mochten, bewahrte eine lebenslange Übung in guten Manieren ihre Gastgeber und sie selbst vor jeglicher Peinlichkeit. Daniel und seine Frau wirkten völlig entspannt, und Clarissa strahlte. Nachdem sie mit allen bekannt gemacht worden war, blieb Mary nichts anderes übrig, als mit den auswärtigen Gästen Konversation zu treiben, sich nach ihrer Überfahrt mit der White Stare Line zu erkundigen und zu fragen, ob ihr Hotel behaglich sei. Lady Rivers stellte ein, zwei Fragen über die Museen und Galerien der Stadt und war sichtlich beeindruckt, wie sachkundig Mary ihr auseinandersetzen konnte, welche Ausstellungen am ehesten einen Besuch verdienten.
    »Wir werden uns nur zu gern Ihrer Führung anvertrauen«, bemerkte sie, »denn mein Mann und ich sind, fürchte ich, mit der ganzen Unwissenheit von Mark Twains Innocent Abroads hierher aufgebrochen.«
    Alles in allem verlief das Gespräch sehr angenehm, bis sie zu Tisch gebeten wurden.
    Seans Speisezimmer bot Raum für mindestens zwanzig Gäste. Sein Geschirr war von erlesener Qualität. Da sie nur zu acht waren, speisten sie an einer runden Tafel. »Es ist nie einfach, acht an einen Tisch zu setzen, nicht wahr?«, bemerkte Mary zu Lady Rivers gewandt, als sie sich anschickten, Platz zu nehmen, und dankte dem Himmel dafür, dass sie durch Hetty Master von den Finessen der richtigen »Placierung« bei einem Dinner wusste. Und als sie sich, wie es sich gehörte, zunächst mit dem einen Tischnachbarn unterhielt, dann beim nächsten Gang mit dem anderen und immer so weiter hin und her, bewies sie, dass sie die Tischsitten der gehobenen Gesellschaft beherrschte. Doch bei einer so intimen Gesellschaft an einem runden Tisch waren auch allgemeine Gespräche zulässig. Lord Rivers erkundigte sich, wo sie wohne, und erfuhr, dass sie ganz in der Nähe, gerade um die Ecke, ein Haus besaß und dass es ihr ein Vergnügen wäre, Lady Rivers, sofern ihre Zeit es gestattete, bei Gelegenheit zum Tee zu empfangen. Daraufhin bemerkte Seine Lordschaft, er habe gehört, dass die Vanderbilts sich weiter oben an der Fifth Avenue einige große Stadtpaläste gebaut hätten; und sie wollte sich gerade das Hirn zermartern, was sie darauf erwidern sollte, als ihr plötzlich wieder einfiel, was Hetty in Bezug auf den Gramercy Park zu sagen pflegte.
    »Wir schätzen es, dass es hier unten ein wenig ruhiger ist«, sagte sie. Das war genau die Bemerkung, die man von »altem Geld« erwarten konnte, und Seine Lordschaft neigte leicht den Kopf.
    »Ganz recht, Miss O’Donnell«, pflichtete er ihr verständnisinnig bei.
    Es wurde bald deutlich, dass den Rivers viel daran lag, jede nur erdenkliche Beziehung hervorzuheben, die sie mit Amerika verband. »Wir hatten schon mehrmals das Vergnügen, einen reizenden Landsmann von Ihnen zu treffen«, äußerte Lord Rivers Mary gegenüber. »Mr Henry James, den Schriftsteller. Er lebt seit Jahren in London, und man sieht ihn dort praktisch bei jedem Dinner.«
    »Ein sehr verdienter Gentleman«, sagte Mary. »Wenngleich ich gestehen muss, dass ich nicht jedes seiner Bücher gelesen habe.«
    »Aha«, sagte Seine Lordschaft lächelnd, »ich ebenso wenig.«
    Schließlich gewährte Lord Rivers ihr Einblick in seine Familiengeschichte. »Die

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