Im Rausch der Freiheit
Rivers, wissen Sie, waren über Generationen hauptsächlich bei der Marine. Zwei Admiräle, wie ich anführen darf. Erst als ein entfernter Verwandter starb, gingen Titel und Vermögen auf meinen Vater über. Und hier liegt auch eine Beziehung zu Amerika. Unser Zweig der Familie leitet sich von einem Captain Rivers ab, der Plantagen in Carolina besaß, bis er sie, kurz nach 1776, verlor.« Er lächelte. »Er war, wie ich gestehen muss, Loyalist.«
»Da werden wir Nachsicht üben müssen«, sagte Mary. »Was wurde aus den Plantagen?«
»Sie wurden von Freunden übernommen, einer New Yorker Familie namens Master. Aber mehr weiß ich davon nicht.«
»Master?« Mary war so überrascht, dass sie unwillkürlich ihre Stimme leicht erhob. Und als es geschah, sah sie, wie ihr Bruder, ihre Neffen und die junge Clarissa sie alle nervös anschauten.
»Sie sind, soweit mir bekannt ist, noch immer eine einflussreiche New Yorker Familie«, sagte Seine Lordschaft. »Kennen Sie sie?«
Der Abgrund hatte sich vor ihr aufgetan, und ihre Angehörigen senkten in vereintem Entsetzen den Blick zu Boden. Ihre Jahrzehnte als Dienstbotin im masterschen Haus. Mary beruhigte ihren Atem und produzierte ein vollkommenes Lächeln.
»Hetty Master ist eine meiner engsten Freundinnen«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Wir kennen uns seit fast fünfzig Jahren.« Und jedes einzelne Wort entsprach der Wahrheit.
»Wahrhaftig!«, sagte Lord Rivers mit dem Ausdruck größter Freude. »Ist die Welt nicht ein Dorf?«
»In der Tat«, sagte Mary.
Als der Fischgang serviert wurde, kamen sie und Seine Lordschaft bereits famos miteinander aus, doch jetzt war es Zeit für sie, ihre Aufmerksamkeit dem jungen Gerald zuzuwenden. Da sie weder von der Jagd – ob mit der Meute oder der Büchse – noch vom Angeln, geschweige denn vom Militär die geringste Ahnung hatte, wusste Mary zunächst nicht recht, worüber sie mit ihm sprechen sollte, aber nach einem raschen Versuch in Richtung Theater stellte sie fest, dass er Gilbert und Sullivan liebte, und damit ließ sich die Konversation eine Zeitlang recht angenehm bestreiten. An der Weise, wie er immer wieder Clarissa verliebte Blicke zuwarf und seine Augen anschließend über die Tischrunde gleiten ließ, erkannte sie, dass Gerald Rivers, der bereits ein, zwei Gläschen getrunken hatte, den Drang verspürte, bei der Familie seiner künftigen Frau Eindruck zu machen; und Mary fragte sich, auf welchem Wege dies geschehen würde.
Der junge Mann sah seine Gelegenheit gekommen, als Lord Rivers während des Hauptgangs Mary fragte, ob sie einen reizenden New Yorker kenne, der jetzt in England lebe. »Einen Mr Croker. Er besitzt ein Landgut in Surrey«, sagte er. Ziemlich erstaunt, erwiderte sie leise: »Jeder in New York kennt Mr Croker.«
Und hier sah Gerald seinen Augenblick gekommen.
»Als ich letztes Jahr in Amerika war, Vater, und den New York Yacht Club besuchte«, sagte er eine Spur zu laut, »erzählte man mir, er habe mit der Tammany Hall zu tun gehabt und sich über den Atlantik abgesetzt, um nicht im Gefängnis zu landen.«
Obwohl die Bemerkung vielleicht ein wenig taktlos war, hatte Gerald Rivers recht. Wenn Boss Tweed die Unterschlagung zur Kunst erhoben hatte, so war sein Nachfolger Croker dem von ihm vorgezeichneten Weg treu geblieben, bis die Klagen so laut geworden waren, dass er beschlossen hatte, für eine Weile nach Übersee zu gehen. Die Vorstellung, dass er in England als achtbarer Landgentleman lebte, war in der Tat amüsant.
»Stimmt das?«, fragte Lady Rivers an Sean gewandt. Doch Sean stand der Tammany Hall selbst viel zu nah, als dass er angefangen hätte, in diesem Glashaus mit Steinen zu werfen.
»Tammany Hall ist eine komplexe Angelegenheit«, sagte er vorsichtig. »Sie ist eine sehr mächtige Parteimaschine und muss mit Bedacht behandelt werden.«
»Aha«, sagte Lord Rivers wissend. Aristokraten hatten offenbar Respekt vor der Politik. Aber der junge Gerald war noch nicht fertig.
»In New York habe ich einen prächtigen Burschen namens Teddy Roosevelt kennengelernt«, sagte er. »Er ist fest entschlossen, bei der New Yorker Polizei aufzuräumen – sie ist ebenfalls vollkommen korrupt, wie ich gehört habe.«
»Sie lässt zum Teil etwas zu wünschen übrig«, räumte Sean ein. »Der junge Mr Roosevelt ist ein sehr tatkräftiger Mann, doch er könnte noch feststellen, dass er sich mit dieser Aufgabe ein bisschen übernommen hat.«
»Aber Sie würden nicht bestreiten, dass in New
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