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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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die Zeiten, als das Dakota-Gebäude mitten in der Wildnis gestanden hatte, waren lange vorbei. Auf der West Side ging es ruhiger zu. Die Grundstückspreise waren niedriger, die vornehmen Einfamilienhäuser auf den Querstraßen oft größer als jene auf der East Side, und es entstanden teilweise auch schon richtige Paläste.
    Aber wer wohnte dort? Das war der Punkt! Wie viel Klasse hatte die Gegend? Würde eine West-Side-Adresse genauso gut klingen wie das Cottage in Newport?
    Nein – es musste irgendwo in der Nähe der Fifth und Madison sein. Die Frage war nur: Wie weit hinauf?
    Fast zwanzig Jahre waren vergangen, seit die Vanderbilts – die Nachfahren von Cornelius Vanderbilt, der 1829 eine eigene Dampfschifffahrtsgesellschaft gründete und 1873 die erste Eisenbahnverbindung zwischen New York und Chicago eröffnete – ihre gewaltigen Stadthäuser an der Fifth gebaut hatten, oben in den Fifties. Inzwischen war noch weiter nach Norden gebaut worden. Paläste in den verschiedensten Stilen, von Architekten wie Carrère & Hastings, Richard Morris Hunt und Kimball & Thompson entworfen, entstanden in der Madison und der Fifth. Französische Châteaus, Renaissancepaläste – die großartigsten Vorbilder, die das Alte Europa zu bieten hatte, wurden schamlos kopiert, damit ihre Besitzer wie die Handelsfürsten, die sie tatsächlich waren, über den Central Park hinwegblicken konnten.
    Einen solchen Palast konnten sich die Masters nicht leisten. Wohl aber in der Nähe von einem wohnen. Aber sollten sie das wirklich?
    J.P. Morgen wohnte nicht da oben, sondern an der Ostseite der Madison, unten bei der 36th – Mr Morgan, der ganz offen seine Ansicht aussprach, manche der Paläste an der oberen Fifth seien vulgäre Monstrositäten. Und man konnte nicht bestreiten, dass er recht hatte. Die meisten dieser Häuser wurden von neuem Geld gebaut. Sehr neuem Geld.
    Morgans riesiges Vermögen indes war nicht nur durch Bankgeschäfte in London entstanden, denn die Morgans waren in Connecticut schon im 17. Jahrhundert wohlhabend gewesen. Wenn man von den ältesten holländischen Familien absah, brauchte das Alter ihres Geldes den Vergleich mit niemandem zu scheuen. Und darauf kam es an.
    Rose war ihrem Schwiegervater von jeher dankbar gewesen für die Namen, die er für seinen Sohn ausgewählt hatte. Die Tatsache, dass dies eher dem Zufall zu verdanken war, weil Toms Frau auf den Namen Vernon verfallen war und Tom ihn nicht gemocht und stattdessen den alten niederländischen Familiennamen Vandyck vorgeschlagen hatte, spielte keine Rolle. Was zählte, war, dass Rose sich mit Fug und Recht Mrs William Vandyck Master nennen konnte – und damit kund und zu wissen tat, dass ihr Mann nicht nur von angelsächsischem protestantischem Geld, sondern auch von niederländischen Ahnen abstammte, die sich bis auf die Zeiten des Gouverneurs Stuyvesants und davor zurückverfolgen ließen.
    Die Masters waren zwar nur mäßig reich, aber ihr Geld war alt. Solange eine Familie es sich leisten konnte, in der guten Gesellschaft zu bleiben, zählte das einiges.
    So stellte sich also das heikle Gleichgewicht von Kräften dar, das sie an diesem Nachmittag in ihrem Herzen bewegen musste. Wie nah konnte – durfte – sie bei jenen protzigen Palästen wohnen, nach denen sich ihr Herz insgeheim verzehrte? Oder sollte sie sich lieber einer seriösen und distanzierten Haltung befleißigen? Wenn es ihr gelang, ihre Karten richtig auszuspielen, würde sie das gewünschte Ergebnis erzielen: Die neuen Fürsten würden sie in ihre Paläste einladen – und sich fragen, ob sie auch wirklich kommen würde.
    Das Perlenhalsband hatte William ihr zu ihrem dritten Hochzeitstag geschenkt. Es sah exakt so aus wie das Band, das Alexandra, die Princess of Wales, immer auf Gesellschaftsphotographien trug, und es bedeutete Rose mehr als alles, was sie sonst an Schmuck besaß. Sie ließ jetzt ihre Finger darübergleiten, während sie im Geiste die Fifth und die Madison hinauf und hinunter abschritt, Querstraße für Querstraße, sich ins Gedächtnis rief, wer in welchem Block jeweils wohnte, und sich fragte, ob dort wohl ein Haus oder ein Baugrundstück zum Verkauf stand.
    *
    »Da ist sie, Toto.« Anna zeigte mit dem Finger übers Wasser. Die Brückenaufbauten hatten die gewaltige Plastik vorübergehend verdeckt, aber jetzt drängten sich alle Passagiere zur Backbordseite, um besser sehen zu können, wie sie immer näher kam. Die Freiheitsstatue.
    Es war kaum nötig, an die

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