Im Rausch der Freiheit
geschafft.
Daher legte Rose Wert darauf, in Newport gesehen zu werden. »Sonst«, erklärte sie ihrem Mann, »könnten die Leute denken, wir seien ganz aus der Welt.«
Newport war für den Sommer perfekt. Das Problem war New York.
Die Familie war in der Stadt gut repräsentiert. Williams’ Großmutter, die alte Hetty Master, residierte nach wie vor im vornehmen Gramercy Park. Sein Vater Tom hatte kürzlich das prächtige Stadthaus des verblichenen Mr Sean O’Donnell an der Lower Fifth erworben, nachdem dieser auf der Rückreise aus England gestorben war. Und die letzten Jahre hatten William und Rose zur Miete in einer schönen Wohnung weiter oben an der Avenue gewohnt. Jetzt wollte der Eigentümer sie aber zurückhaben, und so war es an der Zeit, dass sie sich selbst etwas kauften.
»Du solltest dich endlich entschließen, wo wir hinziehen, Rose«, hatte William ironisch bemerkt. »Brooklyn oder Queens, Manhattan oder die Bronx. Staten Island, wenn du möchtest. Hauptsache, es ist in der Stadt.«
Offiziell waren all diese gottvergessenen Gemeinden, die er aufgezählt hatte, Teil der Stadt. Unmittelbar vor der Jahrhundertwende waren Brooklyn und Queens County auf Long Island, ein Teil der einstmals holländischen Bronx nördlich von Manhattan und das ländliche Staten Island im Süden – in die City of New York eingegliedert worden. Brooklyn, stolz auf seine Unabhängigkeit, hatte sich nur mit viel gutem Zureden zum Anschluss bewegen lassen. Mit ihren »Five Boroughs of New York« war die Metropole jetzt, nach London, die bevölkerungsreichste Stadt der Welt.
Und es gab durchaus in jedem dieser fünf Bezirke prächtige Häuser und schattige Parks und reizvolle ländliche Ausblicke. Doch eigentlich konnte die Familie nur in Manhattan wohnen, und dort waren die diskutablen Adressen begrenzt.
Der Süden, also Lower Manhattan, kam nicht in Betracht: Die ehemalige Altstadt war inzwischen ein reines Geschäftsviertel. Und die angenehmen Gegenden um Greenwich Village und Chelsea, ein bisschen nördlich und westlich davon, waren von Einwanderern überflutet worden und bestanden mittlerweile nur noch aus Mietskasernen. Das feine New York hatte sich mehr und mehr nach Norden zurückgezogen – und dieser Rückzug hörte nicht auf. Die guten alten Geschäfte am Broadway, wie etwa der Juwelier Tiffany’s, waren ihren Kunden Richtung Uptown gefolgt.
Dann war da noch das Problem mit dem Lärm. Nach den Erfahrungen des furchtbaren Blizzards von 1888, der die Stadt lahmlegte, hatte die Stadtverwaltung beschlossen, dass die Telegrafenkabel unterirdisch verlegt werden sollten. Das war technisch leicht zu bewerkstelligen, und das Stadtbild gewann dadurch deutlich. Viele sprachen sich auch für eine unterirdische Stadtbahn aus, die das Auge nicht beleidigen würde und wetterunabhängig wäre. Dieses Projekt nahm allerdings erheblich mehr Zeit in Anspruch. Vorerst fuhren also die Hochbahnzüge mit ihrem Lärm und Rauch und ihren Gleisen, die überall die Aussicht verunstalteten, weiter schnaufend und ratternd die Boulevards auf der Ostseite der Insel und zum Teil auch die West Side entlang.
Indem das elegante New York also nordwärts zog, ließ es den Rauch und den Krach zurück und bildete sich ein neues, ruhigeres Zentrum. Fifth und Madison Avenue und deren Querstraßen waren derzeit die besten Wohngebiete.
»Wie wär’s mit der Park Avenue?«, hatte William vorgeschlagen.
»Park?« Rose reagierte entsetzt, ehe sie begriff, dass er sie ein bisschen auf den Arm nahm. »Niemand wohnt auf der Park!«
Das Problem mit der Park Avenue datierte aus der Zeit, als der alte Commodore Vanderbilt, dreißig Jahre war es her, an der Ecke Fourth Avenue und 42nd Street eine große Halle gebaut hatte, die als eine Art Endbahnhof fungieren sollte. Die Fourth hieß neuerdings Park Avenue, was vielversprechend klang. Aber der Bahnhof war eine Katastrophe, und die Rangieranlagen fächerten sich zu einer abgrundhässlichen Schneise auf, die ein Dutzend Blocks weit nach Norden reichte. Selbst oberhalb der 56th Street, wo die Gleise wieder zusammengeführt wurden und überdeckt waren, verrieten der von der Mitte des Boulevards aufsteigende Lärm und Rauch, dass die höllischen Regionen direkt unter dem Straßenniveau lauerten.
»Wie wär’s dann mit der West Side?«, hatte er daraufhin gesagt. »Da bekommt man eher was für sein Geld.«
Sie wusste, dass er sich liebevoll über sie lustig machte. Nicht dass die West Side zu verachten wäre;
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