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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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aber sie räumte widerwillig ein: »Ich glaube, es wird kommen. Das muss es.«
    Rose merkte, dass ihr Mann, auch wenn er ihre Vorbehalte gegen Keller nachvollziehen konnte, den Althistoriker durchaus interessant fand. Wie beurteilte Keller die Situation in Russland, wollte er wissen. Zu Roses Überraschung schien Edmund Keller diesbezüglich eher pessimistisch zu sein.
    »Es ist unmöglich, Vorhersagen zu machen«, sagte er, »aber wenn man aus der Geschichte überhaupt Schlüsse ziehen kann, dann sehe ich Anlass zu großer Sorge. Die Französische Revolution mag in sich etwas Großartiges gewesen sein, aber sie mündete dennoch in eine Terrorherrschaft.«
    »Die eigentliche Tragödie«, bemerkte William Master, »ist in meinen Augen die Tatsache, dass die russische Wirtschaft, trotz aller sonstigen Probleme, bis zum Ausbruch des Krieges rapid wuchs. Russland hätte sich zu einer blühenden, zufriedenen Nation entwickeln können.«
    In dem Punkt konnte Keller ihm allerdings nicht beipflichten. »Ich glaube einfach nicht, dass die Autokratie des Zaren noch länger aufrechtzuerhalten gewesen wäre«, sagte er. »Als Historiker sehe ich zwar Blutvergießen voraus, aber es fällt mir schwer, es den Russen zu verdenken, dass sie einen Regierungswechsel wollten.«
    »Selbst wenn die Alternative die Sozialisten waren?«, fragte Rose.
    Keller dachte nach. Er wollte gerecht sein. »Wenn ich Russe wäre, dann würde ich wahrscheinlich Ja sagen.«
    Rose sagte nichts mehr. Es war eine geschickte Antwort, aber sie änderte nichts an ihrer Ansicht über Edmund Kellers politische Anschauungen. Charlie allerdings war begierig, dieses gefährliche Terrain weiter auszuloten.
    »Sind Sie nicht der Meinung, dass der Kapitalismus eine Unterdrückung der Arbeiter bedeutet?«, wollte er wissen. »Also – ich schon.«
    Keller zögerte. »Ich vermute«, sagte er liebenswürdig, »dass jedes System, das einer bestimmten Klasse Macht verleiht, ebendiese Klasse in Versuchung führt, die Machtlosen auszubeuten. Das scheint in der menschlichen Natur zu liegen.«
    »Das kapitalistische System ist eine Tyrannei«, verkündete Charlie, »die sich auf die Habgier stützt!«
    Seine Mutter verdrehte die Augen gen Himmel. Sein Vater lächelte und murmelte: »Erinnere mich daran, dir deine Apanage zu streichen.« Keller indes konnte – als Wissenschaftler und Lehrer – nicht umhin, jedem Standpunkt die ihm gebührende Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
    »Man könnte durchaus argumentieren«, sagte er, »dass jeder starke Glaube den Menschen für andere Realitäten blind machen kann. Der Glaube an Profit auf Kosten anderer Dinge kann ein grausamer Lehrmeister sein. Schauen Sie sich etwa diese schreckliche Sache in der Triangle Factory an.«
    Rose starrte ihn an. Hatte er wirklich vor, den Triangle-Streik aufs Tapet zu bringen? Sie daran zu erinnern, wie er bei Hettys Empfang vor sieben Jahren versucht hatte, sie in Verlegenheit zu bringen? Wieder mit dieser Diskussion um die Fabrikmädchen anzufangen, wo er gerade Gast in ihrem Haus war? War er nur hochgradig taktlos oder ganz bewusst unverschämt?
    »Diese streikenden Mädchen«, sagte sie sehr bestimmt, »waren Marionetten von Sozialisten und Revolutionären. Und die Versammlung in der Carnegie Hall hat dies ganz eindeutig bewiesen.«
    Keller machte kurz ein verdutztes Gesicht. »Ach so«, sagte er, »tut mir leid, ich meinte nicht den Streik, ich meinte den Brand.«
    Denn der Brand in der Fabrik hatte ein beschämendes Nachspiel gehabt. Es gab einen Riesenskandal, als Blanck und Harris, die Fabrikbesitzer, vor Gericht gebracht und unter Anklage gestellt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die Tür der Werkhalle im achten Stock, wo so viele Mädchen starben, abgeschlossen gewesen und die Sicherheitsvorkehrung im ganzen Gebäude mangelhaft war. Doch selbst nach diesem Prozess führte nur massiver Druck der Gewerkschaften dazu, dass in der Stadt Maßnahmen zu einer Verbesserung der Arbeitssicherheit getroffen wurden.
    »Den Brand? Ach so. Ja.«
    »Das war eine traurige Sache mit dem Mädchen, nicht?«
    »Dem Mädchen?«
    »Dem Mädchen, das Sie zum Essen mitbrachten. Anna Caruso. Ich habe mir damals ihren Namen gemerkt.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Sie kam beim Triangle-Brand ums Leben. Mir fiel ihr Name ins Auge, als in den Zeitungen die Opferlisten veröffentlicht wurden.«
    »Das wusste ich gar nicht.«
    »Mutter!« Charlie sah sie ungläubig an. Rose spürte, dass sie errötete.
    »Woher

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