Im Rausch der Freiheit
hätte ich es wissen sollen?«, entgegnete sie gereizt.
»Es ist mir peinlich«, sagte Charlie zu seinem Mentor.
Rose starrte Edmund Keller an. Es war ihm also wieder gelungen, sie als die Dumme dastehen zu lassen. Und diesmal auch noch vor ihrem eigenen Sohn! Schon sehr bald, da war sie sich sicher, würde Charlie anfangen, ihn mehr zu respektieren als seine eigene Mutter. Wenn sie Mr Keller, den Sozialisten, bislang nicht gemocht hatte, so brachte sie ihm jetzt einen ganz entschiedenen Widerwillen entgegen. Doch sie zeigte es nicht.
»Mr Keller«, sagte sie zuckersüß, »erzählen Sie mir doch bitte etwas von Ihrer Arbeit an der Universität. Schreiben Sie gerade an einem Buch?«
*
Der Burgunder war exzellent. Noch ehe sie mit dem Hauptgang zur Hälfte durch waren, hatte der Butler Edmunds Glas schon mehr als einmal nachgefüllt, und so fühlte sich der Gelehrte ganz wie zu Hause, während er von seinen Recherchen für ein Buch über Griechenland und Rom erzählte. Charlie sah glücklich aus, sein Vater hatte sich als ein freundlicher und interessanter Mann erwiesen, und selbst Rose – über deren Gefühle ihm gegenüber er sich nicht hundertprozentig im Klaren war – hörte ihm mit dem lautersten Ausdruck von Interesse zu. Keller hatte das Gefühl, unter Freunden zu sein. Nach einer kurzen Pause entschied er, dass er seine Gastgeber ruhig an einer vertraulichen Information teilhaben lassen könnte.
»Ganz unter uns«, eröffnete er ihnen, »es besteht die Möglichkeit, dass ich nächstes Jahr nach England gehe. Nach Oxford.«
»Ach«, sagte Charlie mit ziemlich enttäuschtem Gesicht.
»Wie ich gehört habe, soll es da entsetzlich ruhig zugehen«, sagte William Master.
»Das ist genau der Punkt«, sagte Keller. »So viele Studenten und Dozenten sind kriegsbedingt außer Landes, dass die Universität halb ausgestorben ist. Ich könnte für ein Jahr als Gast-Fellow in einem der Colleges wohnen, ein bisschen unterrichten und an meinem Buch arbeiten. Vielleicht sogar eine feste Anstellung bekommen.«
»Wie hat sich diese Möglichkeit ergeben?«, fragt William.
»Durch Elihu Pusey«, sagte Keller. »Sie kennen ihn vielleicht?« Sie kannten ihn nicht. »Nun, er ist ein reicher alter New Yorker Gentleman und ein bedeutender Gelehrter. Kennengelernt habe ich ihn im Rahmen meiner Forschung. Er hat Beziehungen zu zwei Oxford-Colleges, Trinity und Merton, und er will bei beiden meinetwegen ein gutes Wort einlegen.«
»Was für eine glückliche Fügung«, murmelte Rose.
»Das Einzige, was mich zurückhalten würde, ist mein Vater. Er ist mittlerweile so gebrechlich, dass ich ihn nicht allein lassen möchte. Aber er beharrt darauf, dass ich reisen sollte, und er hat sogar angeboten, die ganze Sache zu finanzieren.«
»Ich bin so egoistisch zu hoffen, dass Sie hier in New York bleiben«, sagte Charlie.
»Ich muss Sie bitten, nichts davon weiterzuerzählen«, sagte Keller.
»Natürlich nicht!«, sagte Rose.
Die Vorstellung, Edmund Keller für die Dauer von Charlies Studium fern von der Columbia zu wissen, war für Rose zweifellos höchst verlockend. Aber trotz ihrer vielen gesellschaftlichen Verbindungen wusste sie nicht, wie sie das hätte verwirklichen können. Wenn Elihu Pusey beabsichtigte, ihn Leuten, die er kannte, zu empfehlen, schön und gut – sie jedenfalls verfügte über keinerlei Mittel, ein Oxford-College zu beeinflussen.
Sie hatte die Angelegenheit schon fast aus ihrem Gedächtnis verbannt, als sie eine Woche später auf einer Versammlung zur Förderung der New York Public Library entdeckte, dass Mr Pusey ebenfalls zu den Gästen gehörte, und bat, mit ihm bekannt gemacht zu werden.
Er war ein distinguiert aussehender alter Herr. Sie brauchte nicht lang, um das Gespräch auf die Columbia University zu lenken und zu erwähnen, dass ihr Sohn dort studierte und sie Mr Nicholas Murray Butler kannte.
»Ich kenne Butler natürlich«, sagte er höflich, wenngleich ohne jede wahrnehmbare Wärme.
»Es gibt einen Dozenten, den mein Sohn ganz besonders schätzt, mit Namen Edmund Keller. Haben Sie zufällig je seine Bekanntschaft gemacht?«
»Edmund Keller?« Jetzt wurde Elihu Pusey deutlich lebhafter. »Aber gewiss kenne ich ihn. Ein sehr vielversprechender Althistoriker. Tatsächlich …« Er schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber offensichtlich anders.
»Er war neulich bei mir zum Dinner«, sagte sie und legte dann eine kurze Pause ein, damit er reagieren konnte. »Er und mein
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