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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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der Fifth blieb er kurz vor der St. Patrick’s Cathedral stehen. Zurzeit wirkte die Stadt ziemlich unordentlich – wohin man auch schaute, überall Baustellen. Das Empire State Building unten an der 34th war das höchste Gebäude, das gerade entstand, aber die größte Baustelle war mit Sicherheit der riesige Komplex, der sich über drei ganze Blocks, von der Fifth zur Sixth Avenue hinzog und den John D. Rockefeller jr. im Alleingang auf die Beine stellte. Master hegte keinen Zweifel daran, dass das Endprodukt hinreißend elegant sein würde, doch bis zu seiner Fertigstellung konnten noch Jahre vergehen.
    An der 52nd bog er nach Westen ab und stand schon nach wenigen Yard vor einem Hauseingang an der Nordseite der Straße. Er brauchte einen Drink.
    Der Club 21 hatte erst Anfang des Jahres seine Pforten geöffnet, aber für die, die sich auskannten, war er schon jetzt das Lokal, in dem man gesehen werden wollte. Charlie hatte ihn kurz nach der Eröffnung dorthin mitgenommen, denn die Eigentümer waren jene zwei jungen Männer, die früher das Fronton, unten im Village, geführt hatten. Nachdem sie stadtaufwärts gezogen waren, hatten sie sich schließlich für die West 52nd Street Nummer 21 entschieden, eine weit schickere Adresse als die, an der sie angefangen hatten.
    Im großen Erdgeschossraum konnte man in einer der Nischen sitzen, die rings um die Wände liefen, und ungestört ein Gläschen trinken. Sollte im Club 21 je eine Razzia stattfinden, würde die Polizei einige Schwierigkeiten damit haben, die Alkoholvorräte zu finden – die lagerten nämlich, hinter einer versteckten zweieinhalb Tonnen schweren Metalltür, im Keller des Hauses nebenan.
    William saß ruhig da und zog seinen Drink in die Länge. Er war froh, allein zu sein. Charlie würde an dem Abend zum Essen kommen, und er freute sich schon auf seine Gesellschaft. Allerdings gab es noch immer Dinge, die er seinem Sohn nicht gesagt hatte. Dinge, die er niemandem sagen konnte.
    Verdammt, die Kurse konnten nicht ewig weiter nach unten gehen! Aber wenn sie sich nicht bald wieder erholten, hatte er keine Ahnung, was er tun sollte.
    Als er zu Hause ankam, war Charlie schon da. William küsste seine Frau, und sie lächelte ihm freundlich zu. Er freute sich darüber.
    Seit einem Monat schlief er schlecht. Manchmal war er so ruhelos, dass er sich auf das Sofa in seinem Ankleidezimmer zurückzog, damit Rose überhaupt ein Auge zumachen konnte. Es war schon eine Weile her, dass er zuletzt mit seiner Frau geschlafen hatte. Zum Teil war er einfach zu müde dazu; doch mehr als einmal hatte er es in letzter Zeit versucht und war jämmerlich gescheitert. Sie ging sehr verständnisvoll damit um, aber solche Aussetzer trugen nicht gerade zur Hebung seiner seelischen Verfassung bei.
    Das Abendessen verlief angenehm. Sie sprachen über dies und das, aber kein Wort über die Aktienkurse. Zum Nachtisch gab es Obst, und Rose schnitt sich gerade einen Apfel, als sie beiläufig bemerkte: »Für Newport werde ich weitere hunderttausend Dollar brauchen. Das macht dir doch nichts aus, oder?«
    William starrte sie an. Er hatte diesen Sommer das verdammte Haus nicht einmal gesehen. Rose war in Newport gewesen, erklärte ihm aber, wohnen könne man auf dieser Baustelle nicht. Er wusste kaum, was sie mit dem Haus eigentlich anstellte, nur so viel, dass es am Ende »spektakulär« aussähe. Und bis es so weit war, erzählte sie ihren sämtlichen Freundinnen lang und breit von ihren Plänen.
    Seltsamerweise hatten sich ihre Aktivitäten für die Firma durchaus positiv ausgewirkt. »Wenn Master so viel Geld für sein Haus in Newport ausgibt«, sagten die Leute, »muss es seiner Firma gut gehen.« Zu einer Zeit, in der so viele andere untergingen, war sein Ansehen auf der Wall Street gestiegen.
    Aber trotzdem, noch einmal hunderttausend?
    »Lieber Gott, Mutter«, rief Charlie aus, »ist das wirklich nötig?«
    Seine Mutter ignorierte ihn.
    »Wofür brauchst du es, Rose?«, erkundigte sich William freundlich.
    »Für Marmor, mein Lieber. Aus Italien. Die Eingangshalle soll ganz aus Marmor werden. Nancy de Rivers«, fügte sie mit dem Anflug eines Vorwurfs hinzu, »hat eine Marmorhalle.«
    »Ach so«, sagte William.
    »Du bist besessen«, sagte Charlie.
    »Wenn ich dir weitere hunderttausend gebe, wirst du dann mit dem Haus fertig?«, fragte William.
    »Ja«, sagte Rose.
    »Also gut«, sagte er.
    Er würde das Geld irgendwo auftreiben müssen.
    *
    Am Freitag, den 19. September, war das

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