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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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den geographischen Gegebenheiten: Bei einer Gesamtfläche von lediglich neunzig Quadratmeilen besaß es zweihundert Meilen Küste – kein Wunder, dass es den Holländern dort gefallen hatte! In Brooklyn war die Luft von ganz besonderer Klarheit. Zwar waren die Engländer gekommen und hatten es Kings County getauft. Zwar verbanden es gigantische Brücken – zusätzlich zur Brooklyn Bridge gab es jetzt die Williamsburg und die Manhattan Bridge – sowie die U-Bahn mit Downtown. Zwar hatten siebzig Jahre städtebaulicher Aktivität einen großen Teil seiner ländlichen Flächen mit Wohnhäusern überdeckt – wobei zum Glück ausgedehnte Parks und schattige Alleen erhalten blieben. Doch wenn man an einem stillen Wochenendmorgen an den »Brownstones« – alten mehrgeschossigen Häusern aus braunem Sandstein und mit überdachten hohen Vortreppen – entlangging, konnte man in diesem kristallenen Licht fast meinen, sich in einem Gemälde von Vermeer zu befinden.
    Es war noch hell, als sie sich vom Bahnhof aus auf den Heimweg machte, Richtung Fiatbush fuhr.
    Die Adlers wohnten in einem Brownstone. Als Sarah ein kleines Kind war, hatte ihr Vater ein paar Räume im Halbsouterrain, unter der Vortreppe, gemietet und darin seine Praxis eingerichtet. Da er in der Depression an soliden Mietern interessiert war, bot der Hausbesitzer ihren Eltern schon bald die zwei Stockwerke darüber und erließ ihnen sogar die ersten drei Monatsmieten. Sie waren mit dem Quartier äußerst zufrieden und wohnten nach all den Jahren immer noch dort.
    Ihre Mutter erwartete sie schon an der Tür.
    »Michael ist fertig, und dein Vater und Nathan kommen gleich runter. Rachel wollte eigentlich morgen kommen, aber sie sagt, alle wären erkältet.«
    Sarahs Enttäuschung hielt sich in Grenzen. Rachel, zwei Jahre älter als sie, hatte mit achtzehn geheiratet und verstand einfach nicht, warum Sarah sich weigerte, es ihr nachzutun. Sarah trat ins Haus und begrüßte ihren Bruder Michael mit einem Kuss. Er war jetzt achtzehn, ein gut aussehender junger Mann. Dann ging sie nach oben und klopfte bei Nathan an. Sein Zimmer sah aus wie immer: die Wände mit Fotografien von Baseballhelden und Dodgerswimpeln bedeckt. Nathan war vierzehn und ein guter und fleißiger Jeschiwaschüler. Doch das Wichtigste in seinem Leben waren immer noch die Dodgers. »Ich bin fertig, ich bin fertig!«, rief er. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Leute in sein Zimmer kamen. Dann spürte sie die Hand ihres Vaters auf ihrer Schulter.
    Dr. Daniel Adler war klein und rundlich mit einem fast kahlen Kopf und einem kleinen dunklen Schnurrbart. Wenn er auch bedauerte, Zahnarzt und nicht Konzertpianist geworden zu sein, fand er Trost in seiner Familie und seiner Religion. Er liebte sie beide -ja, für ihn waren sie ein und dasselbe. Sarah war dafür dankbar. Das war der Grund, weswegen sie, wann immer möglich, Freitagnachmittag zum Sabbat heim nach Fiatbusch fuhr.
    Sie versammelten sich im Wohnzimmer. Die zwei Kerzen standen schon bereit. Während die anderen stumm warteten, zündete Sarahs Mutter sie an und rezitierte dann, die Hände vor den Augen, den Segen.
    »Baruch ata Adonai, Eloheinu melech ha-olam …«
    Es war die Pflicht der Hausfrau, diese Mitzwa zu verrichten. Erst nach vollendetem Segen nahm sie, gemäß der Vorschrift, die Hände von den Augen und schaute auf das Licht.
    Sarah schätzte das Ritual, ja die ganze Idee des Sabbat: eines Ruhetags als Geschenk Gottes an sein auserwähltes Volk. Die Zusammenkunft der Familie bei Sonnenuntergang, die Atmosphäre inniger Freude – sie mochte selbst nicht sonderlich religiös sein, aber zu diesem Tag kehrte sie immer wieder gern heim.
    Nachdem die Kerzen entzündet worden waren, brachen sie in der Dämmerung zur Synagoge auf.
    Sie mochte dieses Ritual.
    Sarahs Freunde und Freundinnen in der Stadt waren größtenteils liberal oder säkular, und die Woche über teilte sie ihre Welt. Das Wochenende aber verbrachte sie zu Hause. Bislang gefiel es ihr, in zwei verschiedenen Welten zu leben.
    Nach dem kurzen Freitagsgottesdienst kehrten sie alle heim. Zu Hause versammelten sie sich um den Esstisch, die Eltern segneten ihre Kinder, ihr Vater rezitierte den Kiddusch über dem Wein, es wurde das Gebet über den zwei Hefezöpfen, den Challot, gesprochen, und dann begann die Mahlzeit.
    Während ihrer ganzen Kindheit hatte Sarah immer gewusst, was es zu essen geben würde. Am Freitag Hühnchen. Am Mittwoch Lammkoteletts. Das waren die

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