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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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alten Geldadels sprachen bestimmte Namen auf eine Weise aus, die sie unaufdringlich, aber eindeutig vom Rest der Menschheit abgrenzte. Und sie verwendeten zum Teil auch andere Wörter. Der moderne Brauch, den »kleinen Gesellschaftsanzug« als »Tuxedo« oder, schlimmer noch, als »Tux« zu bezeichnen, galt als eindeutig vulgär. Die amerikanische Mittelschicht sagte »Tuxedo«. Das alte Geld sagte »Dinnerjacket«.
    »Allerdings«, sagte seine Mutter leise, »soll Groton einen schwarzen Jungen aufgenommen haben.«
    »Das stimmt«, sagte Charlie. »Vor ein paar Jahren. Finde ich gut.«
    »Nun ja«, murmelte seine Mutter, »wenigstens war es kein Jude.«
    Charlie schüttelte den Kopf. Manchmal war es das Beste, seine Mutter einfach zu ignorieren.
    Als sie aus dem Hotel heraustraten, sah Gorham eine der hübschen kleinen Pferdedroschken an der Ecke stehen und fragte, ob sie damit fahren könnten. Charlie warf seiner Mutter einen Blick zu, und sie nickte.
    »Warum nicht«, sagte Charlie.
    Es wurde eine angenehme Fahrt. Zuerst kutschieren sie die Fifth Avenue hinunter. Als sie am eleganten Kaufhaus Bergdorfs vorbeifuhren, erklärte seine Mutter Gorham: »Das war früher das Stadthaus der Vanderbilts.« Als ein paar Minuten später die neugotische Fassade der St. Patricks Cathedral in Sicht kam, sagte sie betrübt: »Früher gab es hier ausschließlich Privathäuser. Jetzt sieht man nur noch Kirchen und Krimskramläden.«
    Doch tatsächlich, ging Charlie auf, näherten sie sich gerade dem wahren geistigen Zentrum von Midtown. Und das war nicht die Kathedrale, so wichtig sie auch sein mochte. Nein, das geistige Zentrum von Manhattan lag gegenüber der Kathedrale, direkt auf der anderen Straßenseite.
    Wie gut erinnerte er sich an all die Jahre, die ganzen Dreißiger und noch danach, als man über die Länge oder Breite Manhattans hinwegschaute und den riesigen Turm des Empire State Building sah, dieses gewaltige Symbol, das den Himmel beherrschte. Aber Symbol wessen? Des Scheiterns. Achtundachtzig Geschosse von Büroräumen, die sich nicht vermieten ließen. Am Ende fanden sich zwar Mieter, doch während der Depressionsjahre hieß das Gebäude nur das Empty – leere – State Building. Und man hätte annehmen können, dass so schnell keiner mehr auf die Idee kommen würde, weitere Bürotürme zu errichten.
    Aber nicht, wenn man New York kannte – oder die Rockefellers.
    Unmittelbar vor dem Börsenkrach von 1929 hatte John D. Rockefeller jr. zehn Hektar auf der Westseite der Fifth Avenue gepachtet, um dort Art-déco-Bürohäuser und eine Oper zu bauen. Nach dem Crash musste das Opernhausprojekt aufgegeben werden, was Rockefeller jedoch nicht davon abhielt, den Rest seines Projekts zu realisieren. Ohne jede fremde Hilfe stellte die reichste Familie der Welt nicht einen, sondern vierzehn Bürotürme hin – mit Dachgärten und einem zentralen Platz –, wodurch die eleganteste Gebäudegruppe der Metropole entstand. Die reizvolle Plaza fungierte im Sommer als Freiluftrestaurant und im Winter als kleine Schlittschuhbahn. Gegen Ende der zehnjährigen Bauzeit, im Dezember 19 …, beschlossen einige der Bauarbeiter, einen Weihnachtsbaum auf der Plaza aufzustellen.
    Das Rockefeller Center wurde ein triumphaler Erfolg. Es war von New Yorkern geschaffen worden, die ein »Nein« nicht akzeptierten. Nicht einmal die Depression hatte es geschafft, sie zu ducken. Das war es, dachte Charlie. Das war das Besondere an New York. Einwanderer trafen ohne einen Penny hier ein, und trotzdem schafften sie es. Weiß Gott, der erste Astor war mit so gut wie nichts aus dem Schiff gestiegen. Eine Tradition, die geradewegs auf diese harten, seegegerbten Ostküstenkapitäne und Siedler zurückging, von denen er und sein Sohn abstammten. Rockefeller war ein Titan, ebenso wie Pierpont Morgan oder Präsident Roosevelt – Fürsten dieser Welt und einer wie der andere durchdrungen vom Geiste New Yorks.
    »Das ist das Rockefeller Center«, sagte er zu seinem Sohn. »Daran wurde während der ganzen Dauer der Depression weitergebaut, weil Rockefeller Geld und Mumm hatte. Ist es nicht schön?«
    »Ja«, sagte Gorham.
    »Ein New Yorker kann niemals besiegt werden, Gorham, weil er sofort wieder aufsteht. Vergiss das nie!«
    »Okay, Papa«, sagte der kleine Junge.
    Die Droschke fuhr sie herum, die Sixth hinauf und durch den Central Park wieder zurück. Es war eine wirklich schöne Fahrt. Doch als sie zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrten, konnte Charlie nicht

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