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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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umhin, eine unwiderlegliche Wahrheit anzuerkennen. Sie hatten gerade eine Pferdedroschke genommen – wie Touristen. Heute Abend würde er mit Gorham in ein Musical gehen – nicht viel anders als ein Tourist. Und morgen würde er ihn nach Staten Island zurückbringen müssen.
    Da aber meldete sich sein Sohn.
    »Papa.«
    »Ja, Gorham.«
    »Wenn ich groß bin, werde ich hier wohnen.«
    »Das würde mich freuen.«
    Der Junge runzelte die Stirn und sah seinen Vater feierlich an, als habe der ihn nicht richtig verstanden.
    »Nein, Papa«, sagte er ruhig, »ich werde hier wohnen.«
    *
    Sarah Adler war bereits da, als Charlie die Galerie betrat.
    Die Betty Parsons Gallery lag an der 57th Street. Obwohl erst 1946 eröffnet, war sie schon berühmt. Zum Teil lag es zweifellos an Bettys Charakter. In altes Geld hineingeboren hatte sie den vorgeschriebenen Weg beschritten und ebenso jung wie standesgemäß geheiratet. Doch dann rebellierte sie, ging nach Paris und zog mit einer anderen Frau zusammen. In den Dreißigerjahren lebte sie in Hollywood und war mit Greta Garbo befreundet. Schließlich kehrte sie, selbst Künstlerin, nach New York zurück und eröffnete ihre Kunstgalerie.
    Denn in den Fünfzigerjahren war New York für jeden, der sich für moderne Kunst interessierte, die Hauptstadt der Welt.
    Eine ganze Schar von Künstlern mit kühnen, großformatigen, abstrakten Arbeiten fiel in die New Yorker Szene ein: Jackson Pollock, Hedda Sterne, Barnett Newman, Motherwell, de Kooning, Rothko – »the Irascibles«, die Jähzornigen, nannten die Leute sie oft. Der Name ihrer Kunstrichtung: abstrakter Expressionismus.
    Das moderne Amerika hatte endlich eine ureigene Kunst. Und im Mittelpunkt dieses ganzen Betriebs stand eine kleine unermüdliche Frau, die in die Welt der New Yorker Privatschulen und Sommerfrischen in Newport hineingeboren worden war, aber die Gesellschaft der extravagantesten Künstler ihrer Zeit bevorzugte: Betty Parsons. Und ihre Galerie natürlich.
    Es war eine Gruppenausstellung. Motherwell war da, Helen Frankenthaler und Jackson Pollock ebenfalls. Charlie machte Sarah mit Pollock bekannt. Dann schauten sich er und Sarah die Werke an.
    Die Ausstellung war umwerfend. Ein Gemälde von Pollock gefiel ihnen ganz besonders – ein Tumult von Braun-, Weiß- und Grautönen. »Es sieht so aus, als sei er mit dem Rad kreuz und quer über die Leinwand gefahren«, flüsterte Sarah.
    »Vielleicht ist er das wirklich«, sagte Charlie grinsend. Dennoch hatte er, wie immer, das Gefühl, dass sich in diesem scheinbar zufälligen Gewirr von Farben unterschwellige Wiederholungen und komplexe Rhythmen entdecken ließen, die dem Werk eine ungeheure Kraft verliehen. »Manche halten ihn für einen Scharlatan«, sagte er, »aber ich halte ihn für ein Genie.«
    Es gab einen schönen Motherwell, ein Bild aus seiner Serie Elegie auf die Spanische Republik, mit starken schwarzen Furchen und senkrechten Balken auf weißer Leinwand. »Es ist, als würde eine Schwingung davon ausgehen«, sagte Sarah. »Wie von einem asiatischen Mantra. Können Sie das nachvollziehen?«
    »Ja«, sagte Charlie, »absolut.« Es war eigenartig – es spielte kaum eine Rolle, ob jemand älter war als man selbst oder nur halb so alt, wenn eine wirkliche geistige Begegnung stattfand. Er lächelte in sich hinein. Reichtum und Macht galten als die stärksten Aphrodisiaka, aber Seelenverwandtschaft, schien ihm, war ebenso stark, und sie hielt länger vor.
    Beide erblickten sie jeweils Bekannte, und sie trennten sich, um sich mit ihnen zu unterhalten. Er sprach ein paar Worte mit Betty Parsons.
    Er mochte Betty. Wenn er auf ihr Gesicht mit dem kleinen, kantigen Kinn und der breiten Stirn hinabschaute, verspürte er fast den Drang, sie zu küssen – was sie vermutlich gar nicht goutiert hätte.
    Eine Stunde war vergangen, als er einen Blick durch den Raum warf und Sarah tief in ein Gespräch mit ein paar jungen Leuten ihres Alters versunken sah. Mit einem verstohlenen Seufzer entschied er, dass er jetzt besser gehen sollte. Zuerst aber ging er sich von ihr verabschieden.
    »Sie gehen nach Hause?« Sie sah enttäuscht aus.
    »Es sei denn, Sie hätten Hunger … Aber wahrscheinlich müssen Sie bei ihren Freunden bleiben.«
    »Ich habe Hunger«, sagte sie. »Gehen wir?«
    *
    Sie entschieden sich für das Sardís. Es war noch früh, lange bevor die Theaterbesucher nach der Vorstellung das Lokal füllen würden. Sie brauchten nicht einmal auf einen Tisch zu warten.

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