Im Rausch der Freiheit
besuchte, legte er Wert darauf, dass die Familie zu Hause jene Quäkerbräuche beibehielt, die er so sehr liebte.
»Du sprichst zu einer Frau, die zwar nicht offiziell, aber sonst durch und durch quäkerisch ist«, hatte Mercy lächelnd zu John gesagt. »In Philadelphia gibt es viele gemischte Familien wie die unsere. Wir geben dort unten nicht allzu viel auf Theorien.«
Als Allererstes war John an diesem Quäkermädchen aufgefallen, dass es seinem Aussehen keinerlei Beachtung schenkte. Anders als die meisten anderen. Seit er im Geschäftsleben erfolgreich war, hatte er seine frühere Befangenheit im Umgang mit jungen Frauen seiner eigenen Gesellschaftsschicht abgelegt. Wenn er ein Zimmer betrat, zog er die meisten weiblichen Blicke auf sich. Wenn ihm Mädchen begegneten, erröteten sie manchmal. Nicht so Mercy Brewster. Sie sah ihm ruhig in die Augen und sprach ganz natürlich mit ihm.
Sie schien sich auch keinerlei Gedanken über ihr eigenes Aussehen zu machen. Sie war einfach ein ganz normales Mädchen von unauffälliger Größe mit in der Mitte gescheitelten lockigen Haaren und weit auseinanderstehenden braunen Augen. Sie schien vollkommen in sich zu ruhen. Er war noch nie jemandem wie ihr begegnet.
Eine Schreckminute hatte es allerdings gegeben.
»Ich lese gern«, gestand sie ihm, als er sie zum ersten Mal besucht hatte, und ihm war bang ums Herz geworden. Doch was sie ihm gezeigt hatte, war kein philosophisches Werk, sondern der unterhaltsame Almanack Ben Franklins, des Druckers aus Philadelphia. In diese Jahresschrift voller Geschichten und witziger Sprüche konnte selbst er gelegentlich mit Vergnügen einen Blick hineinwerfen.
Monatelang hatte er Mercy lediglich als eine Freundin betrachtet. Er besuchte sie im Haus ihrer Eltern auf eine zwanglose, familiäre Weise. Wenn sie sich bei anderen trafen, plauderte er mit ihr, ohne sich recht bewusst zu werden, dass er mit ihr mehr Zeit als mit sonst jemandem verbrachte. Ihre Gespräche waren nie romantischer Natur. Sie sprachen über alltägliche Dinge und geschäftliche Angelegenheiten. Wie die meisten Quäkermädchen war sie auf ganz selbstverständliche Weise in dem Bewusstsein aufgezogen worden, jedem Mann ebenbürtig zu sein; und sie hatte ohne Frage einen ausgeprägten Geschäftssinn. Wenn sie ihm über Schiffe und Warentransport Fragen stellte und er ihr antwortete, bewies sie eine rasche Auffassungsgabe. Sie schäkerte nicht mit ihm; und er schäkerte nicht mit ihr. Sie forderte ihn nicht heraus und schien ihn genauso zu nehmen, wie er war. In ihrer Gegenwart fühlte er sich unbefangen und glücklich.
Ein paarmal hatte er sich dabei ertappt, wie er sie mit deutlicher Zuneigung anlächelte oder sie leicht an der Schulter berührte auf eine Weise, die zu einer Reaktion hätte einladen können. Aber sie hatte es jedes Mal vorgezogen, derlei Gesten als Zeichen von Freundschaft zu behandeln und nicht mehr. Ja er fragte sich eine Weile sogar, ob sie ihn nicht möglicherweise bewusst auf Abstand hielt.
Erst als sie zur Predigt gingen, änderte sich alles.
*
Immer wieder hat es in der Geschichte des Christentums charismatische Prediger gegeben: Männer, die andere an sich ziehen und weitere inspirieren, sodass eine ganze Bewegung entsteht, die wie ein über die Ufer tretender Fluss eine üppige Schicht fruchtbarer Sedimente für künftige Generationen hinterlässt.
John Master hatte einige Jahre zuvor von den Brüdern Wesley gehört. Von tiefem Glauben und dem Wunsch zu predigen durchdrungen, initiierten sie und ein paar Freunde aus Oxford eine evangelistische Bewegung innerhalb der anglikanischen Kirche. 1736 war John Wesley in die amerikanischen Kolonien gekommen, nach Savannah, Georgia, in der Hoffnung, die dortigen Indianer zu bekehren. Und als er nach ein paar Jahren eher enttäuscht nach England zurückgesegelt war, übernahm George Whitefield, sein Freund aus Oxford, umgehend seinen Platz in Georgia. In der Zwischenzeit wuchs die evangelistische Mission der Wesleys in England stetig weiter. Niederschriften ihrer Predigten überquerten den Atlantik und erreichten Philadelphia, Boston und New York. Manche Kirchenleute empfanden die Bewegung als unziemlich und bezeichneten diese ernsthaften jungen Männer verächtlich als »Methodisten«. Doch ihre inbrünstigen Predigten inspirierten viele.
Im Sommer 1739 kehrte George Whitefield nach einem Aufenthalt in England, der Beratungen mit den Wesleys gegolten hatte, in die Kolonien zurück, um künftig
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