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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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und ein beinahe unstillbarer Rachedurst in ihm aufstiegen. »Lass es gut sein!«, befahl er unwirsch, als der Barde zu einer neuen Strophe ansetzen wollte, und kam federnd auf die langen Beine. Das Surkot mit dem Wappen der Plantagenets spannte sich über der Brust des hünenhaften Kriegers, als er die mächtigen Schultern straffte und den achtlos über einen Schemel geworfenen Umhang aufhob, um ihn mit einer Spange unterhalb des linken Schlüsselbeines zu verschließen. Mürrisch gürtete er das kostbare Schwert, das ihm im Kampf gegen die Sarazenen wertvolle Dienste geleistet hatte, und machte Anstalten, das Schlafgemach zu verlassen. Als er den verletzten Ausdruck auf dem Gesicht des sanftmütigen Sängers bemerkte, wich sein Unwille jedoch augenblicklich zerknirschtem Selbsttadel, und er beugte sich zu dem Sitzenden hinab, um ihm liebevoll in die braunen Augen zu blicken. »Entschuldige«, bat er reumütig. »Du kannst nichts dafür. Ich kann es nur kaum erwarten, diese Verräterbrut endlich mit gleicher Münze zu entlohnen!« Die Hand des jungen Mannes legte sich leicht auf seine schwielige Kriegerpranke. »Gib auf dich acht«, warnte er, nachdem er behutsam das zerbrechliche Instrument zur Seite gelegt hatte. »Ich möchte dich nicht noch einmal verlieren.«

England, Nottingham Castle, 27. März 1194
     
    Dem markerschütternden Fauchen, mit dem das Griechische Feuer die Mauerbalken des Außenwerkes der belagerten Festung weiter und weiter auffraß, folgte das dumpfe Geräusch aufprallender Trebuchet geschosse, die inzwischen sowohl Tortürme als auch die Wehrmauern der Oberburg in ein Trümmerfeld verwandelt hatten. Die rußgeschwärzten Ruinen der inneren und äußeren Vorburg glotzten drohend in den von Rauch verschleierten Himmel, und das Surren der Armbrustbolzen lag wie das Brausen eines starken Windes über den gebrüllten Befehlen und den Schmerzensschreien der Verwundeten. Sobald die Pavesen – die mannshohen Holzschilde der Schützen – so mit Pfeilen gespickt waren, dass sie instabil zu werden drohten, bahnten sich todesmutige Knappen den Weg durch den Geschosshagel, um den Männern Ersatz zu reichen. Hie und da wagte ein leichtsinniges Häuflein Eingeschlossener einen verzweifelten Ausfall, nur um wenige Augenblicke darauf enthauptet oder durchbohrt zu Boden zu sinken. Lediglich der innerste Verteidigungsring der Burg, der den Bergfried und den Palas schützte, war noch weitgehend unversehrt und trotzte dem Ansturm der Belagerungsarmee.
    »Geoffrey, du fängst an, mir auf die Nerven zu fallen!«, zischte Richard Löwenherz und warf seinem Halbbruder einen säuerlichen Blick zu, während er hastig einige Bissen kalten Bratens und zwei Tage alten Brotes zwischen die Zähne schob. Zwar hatte er sich an einem der langen, aufgebockten Tische niedergelassen, doch ließ seine ungeduldige Miene keinen Zweifel daran, dass er darauf brannte, sich so schnell wie möglich wieder ins Kampfgetümmel zu stürzen. »Erst dieser unnötige Streit mit Hubert, und jetzt das!«, knurrte er, trank einen Schluck Ale und wischte sich mit dem Ärmel seines Surkots den Mund. »Was soll ich mit ihm?« Sein Blick wanderte zu Roland, der mit gesenktem Kopf zwischen seinen beiden Halbbrüdern stand, und blieb missfällig an ihm haften. »Ich habe bereits einen Knappen«, brummte er, sprang auf und trat auf den Knaben zu. »Wieso sollte ich dich in meine Dienste nehmen?«, fragte er schroff, und Roland hatte Mühe, die in ihm aufsteigende Wut zu unterdrücken. Mit einem kampfeslustigen Funkeln in den blaugrauen Augen hob er den Kopf und starrte den hünenhaften König an, der ihn um mehr als eine Haupteslänge überragte. »Weil Ihr wisst, dass es das Richtige wäre«, versetzte er, hätte sich jedoch am liebsten augenblicklich die Zunge abgebissen, als er den dunklen Wolkenschatten des Jähzorns über Richards Züge huschen sah.
    So blitzschnell, dass der Junge der Bewegung kaum folgen konnte, trat der König direkt vor ihn, packte ihn am Kragen und hob ihn mühelos hoch. Als Rolands Gesicht auf gleicher Höhe mit dem seinen war, starrte er ihm mehrere dröhnende Herzschläge lang in die Augen, bevor er ihn unvermittelt von sich stieß und anfing, brüllend zu lachen. »Ich nehme alles zurück, Geoffrey«, sagte er an den Bischof von York gewandt – ohne weiter auf Roland zu achten, der sich aufrappelte und die schmerzende Rückseite rieb. »Der Bursche hat Mut, das gefällt mir!« Mit einem letzten, kopfschüttelnden Blick

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