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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Bruder die Macht entreißen, die er für Euch verteidigte«, verdrehte der von einer tiefen Schnittwunde entstellte William de Wenneval die Tatsachen. »Hätten wir gewusst, dass Ihr die Belagerer anführt.« Seine Stimme erstarb unter dem vernichtenden Blick des Königs. »Und?«, fragte Richard schließlich provozierend, nachdem er den letzten Bissen mit einem Schluck Burgunder hinuntergespült und sich die öligen Hände unter einer der löwenköpfigen Aquamanilen gesäubert hatte. »Bin ich es, oder bin ich es nicht?« Seine tiefe Stimme triefte vor Hohn. »Was denkt Ihr, meine Herren?«
    »Mylord«, begann der graubärtige Montbegon mit einer flehenden Geste, wobei seine Stimme kaum wahrnehmbar zitterte. »Mein Herz schmerzt vor Freude, dass Ihr endlich wieder unter uns weilt, um unser leidgeplagtes Land von seinen Qualen zu erlösen!« Erneut senkte er das kahle Haupt, während er um Fassung rang. »Unser Leben liegt in Eurer Hand.« Die Versuchung unterdrückend, an den beiden ein Exempel zu statuieren, erhob sich Richard betont langsam und trat mit einem verächtlichen Ausdruck auf den Zügen vor die beiden Knienden. »Geht zurück in die Festung und teilt Euren Männern mit, dass Begnadigung durch ein Lösegeld zu erwirken ist.« Denn in dem Augenblick, in dem die Verteidiger zu den Waffen gegriffen hatten, hatten sie sich des Hochverrats schuldig gemacht. Selbst wenn die Männer tatsächlich angenommen hatten, die Festung gegen Feinde John Lacklands, den sie für den zukünftigen Herrscher Englands hielten, zu verteidigen, änderte das nichts an dieser Tatsache. Das einzige Argument, das für sie sprach, war ihre Unwissenheit. Sobald die beiden Ritter aufgesessen und in Richtung Burggraben davongaloppiert waren, wandte sich der englische König wieder dem durch ihre Ankunft unterbrochenen Gespräch mit Hubert Walter, dem neuen Erzbischof von Canterbury, und seinem Halbbruder Geoffrey, dem Erzbischof von York, zu. »Hör zu, Geoffrey«, setzte er die Unterhaltung fort, als sei in der Zwischenzeit nichts geschehen. »Ich will, dass dieser alberne Streit zwischen Euch endlich beigelegt wird.« Als der Getadelte etwas einwerfen wollte, hob er gebieterisch die Hand und fuhr ihm schroff über den Mund. »Es steht nicht zur Debatte, welche Diözese wichtiger ist!« Seine Brauen schoben sich drohend zusammen. Am liebsten hätte er die Köpfe der beiden Streithähne wie die zweier Knaben zusammengeschlagen. Wie konnte sich Geoffrey nur so darüber aufregen, dass Hubert Walter mit Pomp und Gloria – ein juwelenbesetztes Kruzifix vor sich hertragend – vor Nottingham Castle eingetroffen war, während er selbst als Krieger erschienen war? Manchmal benahmen sich die beiden wirklich wie unreife Bengel! »Ich werde Geoffrey die 3 000 Silbermark leihen, die er benötigt, um das Amt des Sheriffs von Yorkshire zu kaufen«, ließ er die sich kampfeslustig anfunkelnden Bischöfe mit einem boshaften Ausdruck in den grauen Augen wissen. »Und damit ist die Sache ein für alle Mal erledigt!« Roland, der sich seit ihrer Ankunft am bischöflichen Hof vor fünf Jahren immer ein wenig vor dem stets querulierenden älteren Bruder gescheut hatte, unterdrückte nur mit äußerster Willenskraft ein flegelhaftes Grinsen. Er ließ den gesenkten Blick vorsichtig von Geoffreys leuchtenden Augen zu dem sich kaum merkbar vorschiebenden Unterkiefer des Erzbischofs von Canterbury wandern. Ehe er jedoch in die Verlegenheit kam, das in ihm aufsteigende Glucksen schlucken zu müssen, spürte er unvermittelt Richards schwere Pranke auf seiner Schulter. »Komm, Junge!«, befahl der König kurz angebunden und wies mit dem Kopf auf die im Gänsemarsch aus der Festung marschierenden Männer. »Du darfst das Lösegeld zählen!«
     
    ****
     
    Der folgende Tag schien den Triumph des rechtmäßigen Herrschers über die Insel mit einem in allen Farben leuchtenden Sonnenaufgang bekunden zu wollen. Das Lager der siegreichen Angreifer schlummerte friedlich unter einer leichten Dunstglocke sich auflösenden Morgennebels. Hätte nicht ein markerschütternder Laut die Stille in regelmäßigen Abständen durchbrochen, hätte man glauben können, es handle sich lediglich um eine Jagdgesellschaft, die in dem wildreichen Wald Zerstreuung suchte. Doch mit jedem Hieb der dreisträngigen Peitsche, die pfeifend die kühle Luft durchschnitt, wurde das furchterregende Geschrei des Sheriffs von Nottingham schriller. Dem Gebot der Ritterlichkeit folgend hatte Richard

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