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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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ist?«, mischte sich Lady Marian ein, deren Miene Bewunderung für den Mut der jungen Frau widerspiegelte. Catherine nickte. »Und der Papst höchstpersönlich hat die Ehe annulliert«, ergänzte Berengaria. Doch das war etwas anderes, da sich der Ungehorsam der jungen Frau bei dieser Angelegenheit nicht gegen Aliénor und den König gerichtet hatte! Einen Augenblick lauschten sie dem lautstarken Geschrei der Kinder, die dazu übergegangen waren, sich zwischen den in allen Farben leuchtenden Blumenstöcken hindurch zu jagen.
    »Es ist so ungerecht!«, stieß Catherine schließlich ärgerlich hervor. »Wenn sie ein Mann wäre ...« Sie ließ den Satz unbeendet. Aber der Zorn, der in ihrer Stimme mitschwang, ließ Berengaria und Marian erstaunt aufhorchen. »Seid nicht voreingenommen«, ermahnte die Königin sie nach kurzem Überlegen. Auch wenn das hinter den Mauern der Abtei gepflegte Frauenbild in starkem Gegensatz zu dem Ideal der anbetungswürdigen Schönheiten der Minnelieder stand, wollte Berengaria verhindern, dass ihre jungen Begleiterinnen dem Leben mit Bitterkeit und Resignation begegneten. Schon in ihrer Jugend hatte sie begriffen, dass es in einem Glauben, der die Mutter seines Gottes als geschlechtsloses Wesen darstellte, nicht nur um Ergebenheit, Reinheit des Herzens und Demut gehen konnte, sondern in erster Linie darum, die bestehenden Machtverhältnisse festzuschreiben. Wie groß die Furcht sein musste, die sich hinter den grausamen Strafen für Vergehen verbarg, derer eine Frau oft allein durch ihr Geschlecht für schuldig befunden wurde, konnte sie sich nur schwer vorstellen. Selbst wenn ein Mann sich an einem unmündigen Mädchen verging, wurde vor Gericht oft dieses der Tat bezichtigt und nicht selten zu Kerkerhaft oder dem Tode verurteilt. Und auch der Ehebruch – dessen Berengaria sich zweifelsohne schuldig gemacht hatte – wurde in nahezu allen Fällen auf die hintertriebenen Verlockungskünste der weiblichen Sünderin zurückgeführt, da diese bereits im Paradies für den Fall der gesamten Menschheit verantwortlich zeichnete. Wie einfach es doch war, Grausamkeiten und die eigene Lustbefriedigung in schönfärberische Worte zu fassen und gleichzeitig die eigenen Hände in Unschuld zu waschen!
    Mit einem energischen Blinzeln verscheuchte sie die unangenehmen Gedanken, die sie hinter den abweisenden Klostermauern immer öfter beschäftigten, und strich sich ein verirrtes Haar von der Wange. »Ich bin mir sicher, dass der junge Mann nicht weniger hart bestraft worden ist«, widersprach sie. Zerknirscht senkte Catherine den Kopf und drehte das verdorrte Blatt zwischen den Fingern hin und her. »Ihr habt recht«, räumte sie schließlich ein. »Der König kann keinen Ungehorsam in seinen Reihen dulden.« Mit einer beschwichtigenden Geste legte Berengaria ihr die Hand auf die Schulter. »Richard kann furchtbar hart sein«, beschied sie mit einem melancholischen Ausdruck auf den schönen Zügen. »Aber in den meisten Fällen ist er fair.« Das entsprach zwar nur so lange der Wahrheit, wie es den Zwecken ihres Gemahls diente. Aber diesen Zusatz sparte sich die Spanierin, um ihre Hofdame nicht noch mehr zu erregen. »Habt Ihr irgendwelche Neuigkeiten von der Front?«, wechselte Marian geschickt das Thema. »Wie lange wird es dauern, bis Philipp kapituliert?« Bei dieser realitätsverkennenden Frage huschte ein erheitertes Lächeln über Berengaria von Navarras Gesicht. »Den Berichten zufolge streiten sie sich gerade um eine Festung im Vexin.« Sie hob die Achseln. »Es ist doch immer das Gleiche.« Auch wenn sie sich um ihren Liebhaber sorgte, hatte sie inzwischen gelernt, ihre Sorge im Zaum zu halten und geduldig abzuwarten, bis sie ihre hungrigen Lippen wieder auf die seinen drücken und ihn mit ihrer Leidenschaft entflammen konnte. Bis dahin blieb es ihr überlassen, ihrem Leben durch Gebete und Warten Struktur zu verleihen. »Lasst uns hineingehen«, schlug sie nach einem Blick an den Himmel vor, an dem sich die vormals harmlosen Wolken mit einem Mal zu einer bedrohlichen Wand zusammenballten.
     
    ****
     
    Während die Damen ihre Kinder an der Hand oder auf den Arm nahmen und mit ihnen in Richtung Refektorium davonschlenderten, wischte sich Jeanne – die jede ihrer Bewegungen aus ihrem Gefängnis verfolgt hatte – mit einer trotzigen Geste eine Träne aus dem Augenwinkel. Wenngleich sie beschlossen hatte, ihre Gefangenschaft mit der Gleichgültigkeit einer Märtyrerin zu ertragen, stiegen

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