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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Staatsangelegenheiten – einen Absatz des Briefes vorgelesen. »Als ob ich nicht wüsste, dass er hinter dem Aufstand in England und dem Anschlag auf Berengaria steckt«, hatte er geknurrt. »Und die Entführung Konstanzes kommt mir auch ein wenig seltsam vor. Was um alles in der Welt hatte sie in Anjou zu suchen?« Ohne auf die rhetorische Frage zu antworten, hatte Roland genickt und seine eigenen Schlüsse gezogen. »Bevor mir diese Natter nicht ihre Treue beweist, kann er auf meine Anerkennung warten, bis ihm die Zähne ausfallen!«
    Nachdem er eine Zeit lang schweigend auf dem lederartigen Stück Fleisch herumgekaut hatte, erhob sich der englische König und trat vor das Zelt, um den Horizont nach verdächtigen Zeichen abzusuchen. Doch sowohl im Lager der Franzosen als auch im Inneren der belagerten Festung herrschte eine solch vollkommene Ruhe, dass ein unwissender Beobachter vermutet hätte, die Bewohner der Zelte und Häuser lägen in tiefem Schlaf. Lediglich das in unregelmäßigen Abständen die Abendluft durchdringende Klirren eines Brustpanzers oder einer Beinschiene deutete darauf hin, dass nicht alles so war, wie es schien. Der schwere Duft von Harz und Kiefernfeuer vermischte sich mit dem drückenden Gestank des Blutes der Gefallenen, die am Ende der Schlacht hastig auf erschreckend hohe Haufen am Ufer des Flusses geworfen worden waren, wo sie ungeachtet ihrer Loyalität und Herkunft im Tod vereint auf das Einsetzen der Verwesung warteten. Leise brummend umkreiste ein wahres Heer von Schmeißfliegen die zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichen, um ihre Eier in dem noch warmen Fleisch abzulegen. Roland, der seinem Bruder gefolgt war, schauderte bei dem Gedanken. »Lass uns schlafen gehen«, brummte Richard schließlich und legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. »Morgen wird ein harter Tag.«
     
    ****
     
    Während die beiden Brüder sich auf ihre einfachen Lager sinken ließen, stocherte nicht weit entfernt vom Zelt des Königs Harold of Leicester in den ersterbenden Überresten eines Feuers, in dem zischend ein zwischen die Kohlen gefallenes Stückchen Brot zur Unkenntlichkeit verbrannte. Schweigend beobachtete sein Freund Robin of Loxley, wie er gedankenverloren ein Muster in den rußgeschwärzten Boden malte, bevor er sich neben ihm auf einen Stein fallen ließ und ihm in die Augen blickte. »Hast du dich immer noch nicht damit abgefunden?«, fragte er ohne Einleitung. Gut drei Monate war es inzwischen her, dass sie die Nachricht von Guillaumes Tod erreicht hatte, und obwohl Harold diese mit Erleichterung aufgenommen hatte, schien ihn irgendetwas zu bedrücken. »Es ist nicht Guillaume«, erwiderte Harold und wandte dem Freund das Gesicht zu. »So ist mir die Schuld erspart geblieben, Brudermord zu begehen«, sagte er ernst. »Nein, es beunruhigt mich, dass vermutlich Lackland dahintersteckt.« Eine grimmige Falte trat auf seine Stirn. »Guillaume war von Anfang an sein Helfershelfer«, erklärte er. »Und wer hätte sonst ein Interesse daran haben sollen, ihn zum Schweigen zu bringen?« Robin zuckte die Achseln. »Wenn Richard Löwenherz sich nicht vorsieht, steckt ihm schneller ein Messer im Rücken, als er sich umdrehen kann. Und es wird kein französisches sein.«

Die Normandie, Festung Gamaches, Juli 1196
     
    Zehn Meilen weiter nördlich teilte der Neffe des englischen Königs die Sorgen des Earls of Leicester. Mit steinerner Miene beobachtete der neben John Lackland abgesessene Otto von Braunschweig, wie sein Onkel dem Anführer seiner Truppen befahl, die einfachen Soldaten der Garnison von Gamaches an den nachlässig zusammengezimmerten Galgen vor den Burgtoren aufzuhängen, während er selbst die adeligen Gefangenen auf ihren Lösegeldwert taxierte. Wie schon so oft in der Vergangenheit hatte Richard Löwenherz mit dem Befehl an Otto, Lackland zu begleiten, seine bewundernswerte Taktlosigkeit unter Beweis gestellt. Somit hatte er die beiden Rivalen um den englischen Thron in eine pikante Situation gebracht, die der eines spanischen Bullenkampfes ähnelte. Da der junge Prinz Arthur sich mit seiner Flucht an den französischen Hof aus dem Ringelreihen um die Thronfolge katapultiert hatte, war die Beziehung zwischen den beiden Männern noch angespannter als in der Vergangenheit. Was zur Folge hatte, dass sie sich umschlichen wie zwei kampfeslustige Wölfe. Mit seinem riesenhaften Wuchs und dem guten Aussehen hätte der verwegene, von ritterlichen Tugenden beherrschte

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