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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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immer wieder Wut und Trauer in ihr auf. Und diese brachen sich mit solcher Kraft Bahn, dass sie die dünne Maske der Gelassenheit ohne nennenswerten Widerstand zersprengten. Langsam, aber sicher begann die Einzelhaft, sie zu zermürben. Denn obschon sie es sich nicht eingestehen wollte, hatte die von der Äbtissin über sie verhängte Strafe sie härter getroffen als vermutet. Während die ersten Tage noch erträglich gewesen waren, schienen die Blicke der Schwestern immer bohrender zu werden, wenn Jeanne jeden Morgen erneut als Einzige ihr Mahl im Stehen und von den übrigen Bewohnerinnen der Anlage abgesondert einnahm. Auch beim Gebet war sie von den Novizinnen und Ordensschwestern isoliert worden. Und so waren die einzigen Ansprechpartnerinnen, mit denen sie in den vergangenen zwölf Wochen das eine oder andere Wort gewechselt hatte, die mürrischen Bewacherinnen, die ihr drei Mal am Tag die schwere Tür aufschlossen, um sie zu den Gottesdiensten und den anschließenden Mahlzeiten zu geleiten. »Herr, vergib mir meine Sünden«, murmelte sie und hob das einfache hölzerne Kruzifix, das den einzigen Schmuck der Zelle darstellte, an die Lippen. Wohingegen sie zu Beginn ihrer Haft noch fest daran geglaubt hatte, dass Aliénor von Aquitanien ihre Bestrafung mildern oder gar aufheben würde, schwand ihre Hoffnung darauf, jemals wieder weltliche Gesellschaft zu genießen, von Tag zu Tag. Wenn doch nur ein Wunder geschehen würde!, dachte sie verzweifelt, während sie die müden Augen schloss, um sich auf das Beten zu konzentrieren, das ihr Leben mehr und mehr bestimmte. »Bewahre Roland vor Unheil«, flüsterte sie.

Die Normandie, Festung Gaillon, August 1196
     
    »Sire, zu Eurer Linken!« Auch wenn sich Rolands Stimme bei dem Versuch, das Kampfgetöse zu übertönen, überschlug, kam die Warnung zu spät. Mit einem dumpfen Laut bohrte sich der Armbrustbolzen in Richard Löwenherz’ rechten Oberschenkel und nagelte diesen an den Bauch seines auf die Hinterhand steigenden Schlachtrosses, dem unmittelbar darauf ein zweites Geschoss zwischen die starken Schultermuskeln fuhr. Ins Herz getroffen, sackte das Tier augenblicklich in die Knie und begrub den heftig blutenden englischen König unter sich. »Der König!«, brüllte Roland. Und trotz der Tatsache, dass sich bereits ein Ring aus Panzerreitern um den gefallenen Hünen bildete, fürchtete er um das Leben seines Halbbruders. Im Hintergrund schlugen immer noch ununterbrochen Trebuchet geschosse in die mächtige Ringmauer der nur wenige Meilen von Aumâle und Les Andelys entfernten Festung Gaillon ein, deren Belagerung der gedemütigte Plantagenet sofort nach Zahlung des Lösegeldes an Philipp von Frankreich befohlen hatte. Anstatt das Weite zu suchen – wie von Richard Löwenherz entgegen allen Prophezeiungen seiner Berater erwartet –, hatte der französische König die Falle zuschnappen lassen, in die Richards Arroganz das englische Heer vor Aumâle geführt hatte. Der Franzose war den Engländern mit einer so gewaltigen Übermacht in den Rücken gefallen, dass dem Löwen nichts anderes übrig geblieben war, als die Schande einer Kapitulation auf sich zu nehmen. Nicht nur hatte er eine Zahlung von 3000 Silbermark leisten müssen, um die Garnison der Festung auszulösen. Philipp von Frankreich hatte sich zudem noch in dem bisher einzigen großen Sieg gegen seinen Erzfeind gesonnt, indem er der Symbolik halber befohlen hatte, die Burg Stein für Stein abzutragen und zu zerstören. Daraufhin war er, ohne zu zögern, nach Nonancourt aufgebrochen, das er ebenfalls zurückerobert hatte, während Richard Löwenherz mit blutender Ehre Kurs auf die Festung Gaillon genommen hatte.
    Bis zum heutigen Morgen hatte es auch ausgesehen, als habe der Gott des Krieges den Engländer wieder mit seiner Gunst bedacht. Doch nachdem bereits bei Anbruch des Kampftages einer der Belagerungstürme aus unerklärlichen Gründen Feuer gefangen hatte, besiegelte der Fall des Königs das Scheitern auch dieses Unterfangens. Dieser Sommer schien unter einem schlechten Stern zu stehen, dachte Roland, während er in Windeseile aus dem Sattel glitt, um den Rittern dabei behilflich zu sein, den leise stöhnenden Löwenherz unter dem toten Körper seines Hengstes hervorzuziehen. Es hatte sich bereits eine beträchtliche Blutlache gebildet, die sich immer weiter ausbreitete und den staubigen Boden dunkel färbte. Glühend brannte die seit Wochen erbarmungslose Sonne vom Himmel und trieb Roland den

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