Im Reich der Löwin
Schweiß in die Augen. Entgegen besserem Wissen hatte Richard an diesem Tag darauf verzichtet, die schweren Beinschienen anzulegen, welche die Schwere der Verletzung um ein Vielfaches gemindert hätten. Sein mit erschreckender Geschwindigkeit bleicher werdendes Gesicht war von Staub und Schmutz gezeichnet. Und wie bei den anderen Männern wies auch seine Haut an manchen Stellen das fleckige Rosa eines eben erst verheilten Sonnenbrandes auf. Mit dem rotblonden Haar und der hellen Haut litt er besonders unter der erbarmungslosen Hitze. Aber anders als Roland, dessen schwarzer Schopf in eine sonnengebräunte Stirn hing, hörte er nicht auf die Stimme der Vernunft und hielt sich oft länger als nötig in der prallen Sonne auf. »Schafft ihn hier herüber«, befahl der Earl of Pembroke, der mit dem Schwert auf eine etwa dreißig Schritt entfernte Stelle im Schutz einer Baumgruppe wies. »Und du lauf und hol Bruder Kyrill«, herrschte er Roland an, der entsetzt auf die klaffende Fleischwunde im Oberschenkel des Königs starrte. »Beeil dich!« Schwindelig vor Sorge warf der junge Mann seinen Schild auf den Boden und stob in Richtung Feldlager davon, wo er den Gesuchten in dem hastig errichteten Lazarettzelt ausfindig machte. Nachdem der Mönch mit fliegenden Fingern die nötigsten Utensilien in einen Beutel geworfen hatte, folgte er dem aufgeregten Knaben zu der Stelle, an der der König inzwischen mit dem Rücken am Stamm einer Linde lehnte.
»Schneidet den Beinling auf«, wies der Heiler die um ihren König knienden Männer an, die seinem Befehl in Windeseile Folge leisteten. Kaum war die Wunde freigelegt, fuhr Roland erneut Furcht ins Herz, da der Bolzen das Bein nicht nur durchbohrt hatte, sondern auch den weiß zwischen den blutigen Hautfetzen hervorschimmernden Knochen verletzt zu haben schien. »Wenn ich es sage, drückst du dieses Tuch mit aller Kraft auf die Wunde«, gebot der Ordensbruder dem zitternden Knaben, der kaum den Blick von dem inzwischen grauen Gesicht seines Halbbruders wenden konnte. Würde er sterben?, fragte er sich unvermittelt. Er kam jedoch nicht dazu, den furchterregenden Gedanken weiterzuspinnen, da in diesem Moment der Mönch den Schaft des Bolzens mit beiden Händen umklammerte, Richard Löwenherz ein Beißholz zwischen die Zähne schob und mit einem Ruck den Pfeil aus der Wunde befreite. Diese fing augenblicklich an, so heftig zu bluten, dass Rolands Hände besudelt waren, ehe er den Lappen an die richtige Stelle gebracht hatte. Innerhalb weniger Momente war das Tuch vollgesogen. Mit einem Brummen schob Bruder Kyrill den Knappen des Königs zur Seite und brachte mit geübten Handgriffen einen Druckverband an. »Sobald er nicht mehr so stark blutet«, stellte er an die Ritter gewandt fest, »muss ich die Wunde im Lazarett auswaschen. Sonst kann er am Wundbrand sterben.« Roland erhob sich mit steifen Gliedern und blickte auf den König hinab, der mit einem Mal überhaupt nicht mehr allmächtig und unantastbar wirkte.
Auf der hohen Stirn hatte sich ein Schweißfilm gebildet, der die Haut des Verwundeten seltsam wächsern erscheinen ließ. Und unter den hell bewimperten Augen breiteten sich bereits die blauen Schatten der Erschöpfung aus. Mit einem unterdrückten Stöhnen wandte Roland sich ab und machte sich auf den Weg zum Krankenlager, um dort dafür zu sorgen, dass eine der Liegen für den König bereit war. Das Donnern der Katapultgeschosse vermochte kaum, den Schleier der Taubheit zu durchdringen, der sich über seine Sinne gelegt hatte. Erst als er beinahe über eine achtlos auf den Boden geworfene Zeltstange stolperte, kehrte er in die Realität zurück. Gott schien dem König zu zürnen! Vermutlich hatte er ihn durch eine Freveltat verärgert, und dies war eine Warnung, seinen Lebenswandel zu ändern! Vielleicht hatte der Erzbischof von Rouen ihn mit einem Fluch belegt, da Richard trotz des ausdrücklichen Verbots des Kirchenmannes bereits damit begonnen hatte, die Felsklippe von Les Andelys roden zu lassen, um Platz zu schaffen für sein Bauvorhaben. Man konnte nie wissen, über welche Macht die Männer Gottes verfügten! Eines schien jedenfalls Fakt zu sein: So wie Richard Löwenherz sich auf dem Weg nach unten befand, schien das Rad der Fortuna John Lackland nach oben zu befördern. Schließlich war es dem Prinzen als Einzigem gelungen, in diesem schicksalsträchtigen Sommer einen Sieg für die Engländer zu erringen. Mit der Eroberung der Festung Gamaches hatte Lackland dem
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