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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Klosters war es verboten, den Teil der Anlage zu betreten, der den hochgestellten Besucherinnen vorbehalten war. Die Äbtissin fürchtete offenbar, die ohnehin nur schwer zu kontrollierende Putzsucht der jungen Mädchen und Frauen würde geschürt, wenn sie sähen, in welchem Luxus ihre weltlichen Genossinnen schwelgten. Jeanne lächelte wehmütig. Wenn die Äbtissin ihrer Bitte, sie in den Orden aufzunehmen, nachgab, würde weltlicher Tand auch für sie bald den Versuchungen der Vergangenheit angehören! Noch immer schlug ihr Herz schneller als gewöhnlich, da sich beim Erscheinen des Boten eine solch lähmende Kälte ihrer Glieder bemächtigt hatte, dass sie eine der Säulen hatte umklammern müssen, um nicht vor Schwäche zu Boden zu sinken. Wie eigennützig und sündig sie sich vorgekommen war, als der Schmerz der Freundin ein Gefühl der dankbaren Wärme durch ihren tauben Körper gesandt hatte, das sie die beengte Welt um sich herum in neuen, schillernderen Farben hatte wahrnehmen lassen! Sie würde Gott, der ihr Flehen erhört hatte, um Vergebung bitten und für Harolds Genesung beten. Denn keinen Augenblick zweifelte sie daran, dass einzig ihre Entscheidung, ihr Leben dem Dienst des Herrn zu widmen, das über Roland Plantagenet schwebende Gespenst des Todes vertrieben hatte. Seit ihrem Entschluss, als Novizin in das Nonnenkloster einzutreten, hatten sich die vormals von Höllenqualen heimgesuchten Nächte in Stunden der Ruhe und des Friedens verwandelt. Und selbst der Seelenschmerz, der sich immer wieder in den Vordergrund drängte, verlor langsam, aber sicher an Schärfe.
    Die dünnen Sohlen ihrer Schuhe hinterließen ein schwaches Muster auf dem von dottergelbem Blütenstaub überzogenen Steinboden des Kreuzganges, an dessen Ende eine schwere, eisenbeschlagene Tür in das nüchterne Innere der Abtei führte. Mit einem unbewussten Straffen der Schultern hob Jeanne das Kinn ein wenig höher, ließ ein letztes Mal den Blick über das zarte, saftige Grün der Gartenanlage gleiten und schritt durch den niedrigen Torbogen, um sich dem Zug der bereits in die Kapelle strömenden Schwestern anzuschließen. Wenn die Äbtissin nur endlich die Folter des Wartens beenden würde! Die oberste Schwester hatte mit keinem Wimpernzucken ihre Verwunderung über den Sinneswandel ihrer störrischen Insassin verraten, als Jeanne sie vor wenigen Tagen mit demütig niedergeschlagenen Augen um Aufnahme in den Orden ersucht hatte. Allerdings hatte sie die junge Frau mit einigen wenig herzlichen Worten zur Geduld gemahnt, da sie erst Zwiesprache mit Gott halten musste. Dieser Gott hörte vermutlich auf den Namen Aliénor von Aquitanien, hatte Jeanne bitter gedacht, als sie die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte. Denn obwohl sie gewillt war, ihr Leben zukünftig Demut und Gehorsam zu verschreiben, hatte sie den Stachel des Unwillens über die Kälte und Gleichgültigkeit der Äbtissin nicht unterdrücken können. Was auch immer ihre Großtante mit ihrer Haft in dieser Anlage bezweckte, es schien nicht in den Händen der Oberin zu liegen, Veränderungen im Status quo herbeizuführen. Mit einem Seufzen reihte Jeanne sich in die Schlange der Gläubigen ein, zwängte sich in eines der engen Chorgestühle und beugte das Knie, um murmelnd in das Gebet mit einzufallen.

Flandern, Burg Gravensteen, Juli 1197
     
    Bemüht, die Gedanken, die beim Anblick des streng blickenden Grafen Balduin von Flandern in ihm aufsteigen wollten, im Zaum zu halten, neigte William Marshal mit der Andeutung eines Lächelns den Kopf. Er wies auf das halbe Dutzend Säckchen, die einen Teil der von Richard Löwenherz versprochenen Zahlungen und Geschenke enthielten. Wie immer hatte der englische König sein Talent für Taktlosigkeiten unter Beweis gestellt, indem er dem Grafen mit dieser unmissverständlichen Geste den verbalen Fehdehandschuh hinwarf. Vermutlich sollte dies Balduin vor Augen führen, mit welch übermächtigem Feind er sich anlegte, sollte er die falsche Entscheidung treffen. Beinahe drei Monate hatte der Graf sich vor einer Antwort gedrückt, sodass Richard Löwenherz schließlich die Initiative ergriffen und William Marshal mit einer Verhandlungsdelegation nach Gravensteen entsandt hatte – mit dem Auftrag, nicht ohne eine verbindliche Antwort zurückzukehren. Die Augen des jungen Monarchen verengten sich kaum merklich, als er Williams Gruß erwiderte.
    »Wenn Ihr die Vereinbarung unterzeichnet, mit der sowohl Ihr als auch Richard

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