Im Reich der Löwin
Löwenherz Euch verpflichtet, ohne gegenseitige Einwilligung keinen Waffenstillstand oder Frieden mit Philipp von Frankreich zu schließen«, begann William Marshal, »dann wird unser König augenblicklich Befehl geben, die Seeblockade aufzuheben.« Das tiefe Einatmen des Grafen, in dessen ernster Miene sich sowohl Widerwille als auch Bewunderung spiegelten, ließ den Earl of Pembroke vermuten, dass es sich bei der Halsstarrigkeit des jungen Mannes lediglich um einen letzten verzweifelten Versuch handelte, das Gesicht zu wahren. »Den Rest der Geldsumme und das unterzeichnete Rentenlehen erhaltet Ihr, sobald Löwenherz dieses Dokument in Händen hält.« Während sich die hinter den beiden Verhandlungsführern aufgebauten Männer kampfeslustig musterten, beobachtete William Marshal mit wachsender Genugtuung, wie der Kampfgeist den klaren Blick des jungen Grafen floh. Stattdessen machte sich die Erkenntnis breit, dass er diese Partie gegen den englischen König verloren hatte. Als ob er sich über das Angebot beschweren könnte!, dachte der Earl of Pembroke verächtlich. Der Köder, den Richard ihm vor die etwas zu spitze Nase gelegt hatte, war alles andere als schäbig! Immerhin würde der Vertrag mit dem Engländer ihm dazu verhelfen, das unrechtmäßig von der französischen Krone beschlagnahmte Artois zurückzuerobern. Denn während Richard Löwenherz sich als Nächstes das südlich der Touraine gelegene Berry vornehmen würde, war es Balduins Aufgabe, mit einem Einfall in das bei seinem Erbgang verloren gegangene Lehen dem Zweifrontenangriff auf Philipp Nachdruck zu verleihen. Was also sollte das Getue?
Kurz davor, die Geduld mit dem steifen Grafen zu verlieren, trat er einen Schritt auf den Tisch zwischen den beiden Parteien zu, ergriff den Federkiel und hielt ihn dem immer noch zögernden Balduin hin. Nach einem bedrohlich langen Augenblick des Zauderns griff der Herr über Flandern schließlich mit einem undeutlichen Murmeln nach der Feder, tauchte sie in das Tintenfass und setzte seine Unterschrift unter die Vereinbarung, die Richard Löwenherz die Nordflanke sicherte. William Marshal erlaubte dem Lächeln auf seinen faltigen Zügen, sich auszudehnen. Damit war Philipp von Frankreich in der Zange! Als sich der Earl of Pembroke mit dem unterzeichneten Schriftstück schließlich auf den Rückweg machte, ballten sich im Rücken der Delegation – von der See her ins Landesinnere ziehend – bereits wieder drohende Wolkentürme zusammen. Das Zwitschern der Vögel schien seltsam echolos in der unheimlich stillen Luft zu gefrieren, bevor es von einem urplötzlich aufkommenden, böigen Westwind in alle Himmelsrichtungen zerstreut wurde. Während der dumpfe Hall der galoppierenden Pferdehufe von dem trockenen Boden verschluckt wurde, preschten die Engländer gen Süden, wo die Sonne noch ungetrübt in einem strahlend blauen Himmel schwamm. Indem sie ihre erholten Reittiere bis an die Grenze der Erschöpfung jagten, gelang es den Männern innerhalb eines Tages und einer Nacht Rouen zu erreichen.
Rouen, Juli 1197
Erdrückend lag die schwüle Sommerhitze über den Häusern der mächtigen Hafenstadt, von deren Dächern flimmernde Schwaden gen Himmel zu steigen schienen. Die Schiffe der im Hafen liegenden Kriegsflotte schaukelten sanft hin und her, obwohl die Wasseroberfläche vollkommen ruhig war. Schrill kreischende Schwalben verwandelten den Hof des Stadtpalastes von Rouen in einen tobenden Strudel aus schwarz-weißem Gefieder. Und nicht zum ersten Mal fragte sich John Lackland, der mit einem letzten Blick auf das kochende Kopfsteinpflaster die Kühle des Haupthauses betrat, wie die waghalsigen Vögel die Orientierung behielten. Mit ausgreifenden Schritten eilte er den langen Gang entlang in den ersten Stock hinauf, wo er mit sichtlicher Erleichterung die Tür hinter sich zuzog und sich schwitzend in einen der tiefen Sessel fallen ließ. Während scheinbar nicht versiegen wollende Schweißbäche sein erhitztes Gesicht entlangrannen, fächelte er sich mit den weiten Ärmeln seines von Salzrändern verunzierten Surkots Luft zu. Aber anstatt ihn zu kühlen, schien die Bewegung ihm immer mehr Schweiß aus den Poren zu treiben. Seit Tagen litt er unter einer quälenden Mundtrockenheit, die sich durch nichts lindern ließ. Anstatt ihn zu erfrischen, schienen sowohl der perlende Weißwein als auch der leicht säuerliche Cidre , ihn immer durstiger zu machen. Auch an diesem Tag klebte ihm die geschwollene Zunge am
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