Im Reich der Löwin
Gaumen, der mit schmerzhaften Blasen und Furunkel überzogen war. Langsam begann er, sich wegen der entzündeten Stellen Sorgen zu machen. Sollte er sich eine der vielen Krankheiten zugezogen haben, die in der Feuchtigkeit und Hitze des Sommers besonders gut gediehen? Schwindelig vor Schwäche und Durst stemmte er sich nach einigen Augenblicken des Ruhens wieder aus dem Stuhl und beschloss, den guten Vorsatz, den er seit Wochen vor sich herschob, in die Tat umzusetzen, um einen eventuell zürnenden Gott zu beschwichtigen. »Waleran!«, krächzte er heiser. Nachdem sich der Knabe vor ihm verneigt hatte, befahl er mit einem Räuspern: »Sag Devizes, er soll zu mir kommen.«
Als es keine zehn Minuten später an der Tür klopfte, gebot er dem Chronisten mit einem mürrischen »Es ist offen!« einzutreten und wies ihn mit einem knappen Nicken an, Platz zu nehmen, um das zu tun, wozu er ihn gerufen hatte. Seit dem Gespräch mit Richard hatte John wiederholt der Versuchung widerstanden, gegen seinen Bruder und seinen Neffen Otto zu intrigieren. Auch wenn er es sich selbst nicht eingestehen wollte, hatte ihm die handgreifliche Auseinandersetzung mit Richard Todesangst eingejagt. Da er sich wohl darüber im Klaren war, dass es sich um ein Machtspiel zwischen ihm und Löwenherz handelte, in dem dieser als Einziger ungestraft die Muskeln spielen lassen konnte, hatte er beschlossen, sich mit einer Geste des guten Willens auf den Rücken zu werfen, um so sein Ziel schneller zu erreichen. »Schreibt«, knurrte er Richard of Devizes an, dessen widerstrebende Haltung ihn mehr und mehr erzürnte. Irgendetwas musste in letzter Zeit vorgefallen sein, da der ohnehin nicht besonders gesprächige Zisterzienser ihm gegenüber noch schweigsamer und distanzierter war als zuvor. Schon lange hatte der junge Mann bereut, sich auf einen Handel mit John Lackland eingelassen zu haben, das war diesem durchaus bewusst. Doch wer mit dem Feuer spielte, konnte sich nun einmal verbrennen! Er lächelte dünn und diktierte:
»An Ranulf of Chester,
uns ist zu Ohren gekommen, dass Ihr Eure Gemahlin gegen ihren Willen festhaltet. Im Namen des Königs von England, Richard Löwenherz, befehlen wir Euch hiermit, sie auf der Stelle auf freien Fuß zu setzen, da Ihr ansonsten mit ernsthaften Repressalien zu rechnen habt. Solltet Ihr diesem Befehl nicht innerhalb der nächsten zwei Wochen Folge leisten, wird der König dies als Hochverrat werten.
Im Auftrag des Königs«
»Die Unterschrift könnt Ihr Euch sparen«, stellte Lackland an Richard of Devizes gewandt fest. Auf keinen Fall wollte er, dass Ranulf klar wurde, dass dieser Brief aus derselben Feder stammte wie derjenige, der ihn über die Reiseroute seiner Angetrauten informiert hatte. Manchmal war es besser, namenlos zu bleiben! »Schickt eine Abschrift an Richard«, setzte er nach kurzem Zögern hinzu. Denn wie sonst sollte sein Bruder von seinem Akt der Nächstenliebe erfahren? Nachdem der Chronist nicht das private Siegel des Prinzen, sondern das der Krone in das noch warme Wachs gedrückt hatte, entließ Lackland ihn mit einem Stirnrunzeln und griff gierig nach dem mit Wasser vermischten Met, den Waleran ihm reichte. Vielleicht konnte dieses Getränk seiner brennenden Kehle Linderung verschaffen, hoffte er, während er mit einem genüsslichen Stöhnen das Nass auf der Zunge zergehen ließ.
Paris, Louvre, September 1197
Wie um die dunkle Stimmung des soeben aus Flandern zurückkehrenden französischen Königs zu unterstreichen, tönte die dumpfe Bassglocke der Kapelle über die Regen speienden Dächer der Festung im Herzen von Paris. Sprudelnden Fontänen gleich stürzten geradezu absurde Wassermassen aus den Mäulern der bronzenen Wasserspeier und verwandelten den Innenhof der Burg in einen Sumpf aus Schlamm, der von den Hufen der Reiter aufgewühlt wurde. Die griesgrämige Miene des von einem Kapuzenmantel verhüllten Königs verzog sich zu einem abfälligen Knurren, als der Sarg des vor wenigen Tagen verstorbenen Arnauld de Touraine in Richtung Gottesacker davongetragen wurde. Dort verschwand er ohne große Geste in dem zu diesem Zweck ausgehobenen, gähnenden Loch. »Dieser Narr«, brummte Philipp von Frankreich, wandte den Kopf ab und trieb seinen Hengst weiter an, um so schnell wie möglich die Trockenheit der Stallungen zu erreichen. Wie vorhergesehen hatte der Graf ohne Grafschaft immer weiter erfolglos versucht, seinen Kummer im Wein zu ertränken, bis ihn schließlich
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