Im Reich der Löwin
Leicester, William Marshal und all die anderen verheirateten Ritter. Lediglich ungebundene Kämpfer waren zugelassen, da – so munkelte man – der Preis, der dem Sieger winkte, eine Grafschaft inklusive einer Edeldame sein sollte. »Ob es stimmt, was man sich erzählt?«, fragte Catherine. Sie griff sich mit einem Seufzer an den Bauch, in dem ihr ungeborenes Kind heftig gegen die störende Beschränkung ankämpfte. »Ich weiß es nicht«, warf Berengaria ein. Sie hatte ihrem Sohn etwas ins Ohr geflüstert, woraufhin der Knabe mit einem kleinen Stöckchen in der Hand in Richtung der vor ihm fliehenden Ziege davonrannte. »Aliénor macht ein großes Geheimnis daraus.« Ihr schönes Gesicht legte sich in grüblerische Falten. »Ich habe einen Verdacht«, setzte sie nach kurzem Schweigen hinzu. »Aber so viel Grausamkeit will ich nicht einmal ihr zutrauen.« Nachdem Marian und Catherine sie einige Augenblicke lang fragend gemustert hatten, dämmerte ihnen, was die Königin meinte und Catherine stieß keuchend hervor: »Nein, das kann sie nicht tun!«
Poitiers, Abtei Sainte-Croix, September 1197
»Folgt mir!« Die Stimme der Heiligen Schwester, die Jeanne die Nachricht überbracht hatte, dass die Äbtissin sie zu sprechen wünschte, wurde von den Nischen und Gewölben des Klosters zurückgeworfen. Die beiden Frauen hasteten durch verwirrend verschlungene Korridore, um dem Befehl der Oberin Folge zu leisten. Der kühle Wind, der dem Regen vor einigen Tagen gefolgt war, ließ Jeanne trotz des wollenen Habits frösteln. Und als sie den offenen Säulengang der angrenzenden Empore passierten, spürte sie, wie sich die Feuchtigkeit über ihr kaltes Gesicht legte. Sollte die Äbtissin endlich ihrer Bitte nachgeben und sie als Novizin in den Orden aufnehmen?, fragte sie sich. Während sich die Aufregung immer weiter in ihr ausbreitete, hatte Jeanne Schwierigkeiten, mit der quirligen Nonne Schritt zu halten. Nur mit größter Mühe gelang es ihr, das Aufeinanderschlagen ihrer Zähne zu vermeiden, indem sie die Oberlippe fest auf die Unterlippe presste. Doch selbst unter Aufbietung all ihrer Selbstbeherrschung konnte sie nicht verhindern, dass ihr Kinn kaum wahrnehmbar bebte und ihre Hände anfingen zu zittern.
Wenn die Zeremonie doch nur schon vorüber wäre!, dachte sie bang. Trotz der festen Überzeugung, dass sie mit ihrem Opfer Rolands Leben erkaufen würde, stahl sich immer wieder hartnäckiger Zweifel in die stundenlangen frommen Gebete. Deutete sie Gottes Willen richtig? Stand es ihr überhaupt zu, die Wünsche des Herrn erahnen zu wollen? Mit einem Räuspern befreite sie sich von der Beklemmung in ihrer Kehle und schloss zu der Ordensschwester auf, die inzwischen vor der Tür zum Gemach der Äbtissin angelangt war. »Herein«, tönte die gedämpfte Stimme der Mutter Oberin nach draußen. Als ihre Begleiterin Jeanne wortlos in den kahlen Raum geschoben hatte, verabschiedete sie sich mit einem respektvollen Nicken und ließ die junge Frau mit dem strengen Oberhaupt des Klosters allein. Wie jedes Mal, wenn ihr Blick auf die brutal geschnürte Brust der Äbtissin fiel, schlug Jeanne die Augen nieder und unterdrückte den Drang, sich selbst an den zwar kleinen, aber wohlgeformten Busen zu fassen, um sich davon zu überzeugen, dass er noch an Ort und Stelle war. Nachdem sie ihre Besucherin einige Augenblicke lang ignoriert hatte, erhob sich die Ältere schließlich, trat hinter ihrem Schreibtisch hervor und betrachtete Jeanne mit untergeschlagenen Armen. Durch die Rundbogenfenster in ihrem Rücken fiel kaum genug Licht, um ihre harten Züge zu erhellen. Aber erst nach einigen weiteren Momenten des Schweigens griff sie nach einer der dicken Kerzen, die ihre Lektüre erleuchtet hatte, und entzündete damit die halb niedergebrannte Pechfackel an der Wand der Kammer.
»Ich habe gute Nachrichten für Euch«, hub sie schließlich an. Doch der Ausdruck, der über ihr reizloses Gesicht huschte, ließ Jeanne an dem Wahrheitsgehalt dieser Worte zweifeln. Hastig senkte sie erneut den Blick, als die Äbtissin näher an sie herantrat, um sie mit an Grobheit grenzender Eindringlichkeit zu mustern. »Ihr werdet den anderen Damen nach Château Gaillard folgen«, fuhr sie mit einem Lächeln auf den schmalen Lippen fort. Einen kaum wahrnehmbaren Augenblick hing die Bedeutung dieser Worte schwer im Raum, bevor Jeanne mit einem Laut der Freude den Kopf hob und undamenhaft die Augen aufriss. Sie schlug die Hände vor den Mund, während
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