Im Reich der Löwin
Tränen der Freude in ihren Wimpern glitzerten. »Der König hat mir verziehen?«, hauchte sie ungläubig, übersah in ihrer Euphorie jedoch das Kopfschütteln ihres Gegenübers. »Es ist gut, dass ich Eurer Bitte, Euch in den Orden aufzunehmen, nicht nachgegeben habe«, stellte die Äbtissin – unberührt von dem emotionalen Aufruhr der jungen Frau – fest und ging zur Tür, um eigenhändig auf das erneute Klopfen zu reagieren, das sie in diesem Augenblick unterbrach. »Kommt«, forderte sie die beiden Nonnen auf, die mit kostbaren Gewändern und einem Kopfputz über dem Arm auf Einlass warteten. Dann gab sie Jeanne mit einer Geste zu verstehen, sich ihnen anzuschließen. »Macht Euch reisefertig«, befahl sie knapp, hielt die junge Frau jedoch mit einem harten Griff um den Oberarm zurück, als diese Anstalten machte, dem Befehl mit leuchtenden Augen Folge zu leisten. »Ihr solltet Euch über den Zweck dieser Reise im Klaren sein«, warnte sie eindringlich. Als Verständnislosigkeit das Lächeln aus Jeannes Gesicht wischte, erklärte sie nüchtern: »Ihr sollt verheiratet werden.« Alle Farbe wich aus Jeannes Wangen, nur um sofort darauf von flammender Röte abgelöst zu werden. »Roland«, flüsterte sie schwach. Aber ein weiteres Kopfschütteln ließ ihre Kniekehlen taub werden. »Ihr seid der Preis für den Sieger eines Turniers«, erklärte die Äbtissin. Als Jeanne, die Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten, nichts darauf erwiderte, setzte sie gespielt aufmunternd hinzu: »Wenigstens könnt Ihr Euch sicher sein, dass Euer Gemahl ein guter Kämpfer ist.« Mit diesen Worten entließ sie die Schwestern, die Jeanne in den Gang bugsierten, um die erstarrte junge Frau in eine der kleinen Ankleidekammern zu führen, wo sie ihre gleichgültigen Glieder in den prunkvollen, fließenden Stoff steckten.
London, September 1197
»… Zeitpunkt des Treffens: der dritte Freitag im September AD 1197.
Gezeichnet: Hubert Walter, Erzbischof von Canterbury, päpstlicher Legat, oberster Justiziar Englands«
»300 Ritter?!«, schnaubte Herbert Poore, der Bischof von Salisbury, in dessen Stadtpalast das heimliche Treffen der mit Hubert Walters Führung unzufriedenen Bischöfe und weltlichen Herren an diesem kalten und windigen Herbstnachmittag stattfand. Dem Schreiben des Regierungsoberhauptes zufolge forderte Richard Löwenherz erneut einen Eliteverband von 300 waffenerprobten Kämpfern, um den ohnehin durch den Abfall Flanderns und der Grafschaft Toulouse geschwächten Philipp von Frankreich nicht nur finanziell, sondern auch moralisch in die Knie zu zwingen. Als ob der Bau der Festung bei Les Andelys nicht schon genug Opfer von den Oberen der Insel verlangt hätte, forderte der König mit der ihm eigenen Selbstverständlichkeit weitere Zahlungen, die manchen der englischen Kleriker und Adeligen an den Rand des finanziellen Ruins bringen würden. »Wir haben doch erst vor knapp einem Jahr unsere letzten Reserven nach Frankreich geschickt«, grollte auch Geoffrey of York, der nicht gut zu sprechen war auf Hubert Walter. Dieser vereinte seiner Meinung nach weit zu viel Macht in sich. Noch immer hatte er seinem Halbbruder, Richard Löwenherz, die Demütigung nicht verziehen, die dieser ihm vor Nottingham Castle zugefügt hatte, als er ihn wie einen unmündigen Knaben in die Schranken gewiesen hatte, um dem Streit zwischen Hubert Walter und ihm selbst ein Ende zu bereiten. Wie ein Pfau war der Erzbischof von Canterbury, oberste Justiziar und päpstliche Legat mit Pomp und Gloria auf dem Schlachtfeld erschienen, während Geoffrey mit Schwert und Rüstung in den Kampf gegen die Anhänger John Lacklands gezogen war. Zwar hatte Löwenherz ihm die 3 000 Silbermark geliehen, die er benötigt hatte, um das Amt des Sheriffs von Yorkshire zu kaufen. Doch wog diese armselige Geste die Machtfülle, mit der er Hubert Walter überhäuft hatte, keineswegs auf. Wütend ballte er die Fäuste, um die Erinnerung an dieses letzte Treffen zu vertreiben. »Auf Walter ist kein Verlass«, knurrte Hugh of Lincoln und blickte versonnen auf eine dünne Pergamentrolle, die er in den Händen hin und her drehte. »Er wird sich niemals gegen Richard stellen.« Die Anwesenden nickten murmelnd, verstummten jedoch, als sich die hohen Flügeltüren zur Halle des Bischofspalastes öffneten, um eine Schar Bediensteter mit Erfrischungen einzulassen. Einige Augenblicke waren das Klappern des Tafelsilbers und das Plätschern des Weines die einzigen
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