Im Reich der Löwin
Geräusche. Aber kaum hatten sich die Diener wortlos zurückgezogen, nahmen die Männer ihre feurige Debatte wieder auf. »Ich habe keine Lust mehr, Löwenherz ständig neue Soldaten in den Rachen zu werfen«, beklagte sich der Bischof von Durham, dessen schwarzer Kinnbart tropfte, als er seinen Becher absetzte. »Ein Eliteverband von 300 Rittern für ein Jahr!«, brauste ein Baron aus dem Westen auf. »Das sind über 8 000 Silbermark! Woher sollen wir das ganze Geld nehmen?!«
Das zustimmende Raunen und die finsteren Blicke, die sich die Männer zuwarfen, veranlassten Hugh of Lincoln nach einem fragenden Seitenblick auf Herbert Poore, den Bischof von Salisbury, vorzutreten und die Versammlung mit einer energischen Geste zur Ruhe zu rufen. Ein listiger Ausdruck lag in den eisblauen Augen, welche den gebrechlichen Eindruck, den der grauhaarige Kirchenmann auf den ersten Blick vermittelte, Lügen strafte. Das Lächeln, das seine Lippen verzog, verriet Zufriedenheit. Endlich war die Zeit gekommen, die von dem am Ende unglücklicherweise zu einer Bürde gewordenen Guillaume of Huntingdon entdeckte Klausel zum Einsatz zu bringen und den Forderungen des Königs einen Riegel vorzuschieben! Mit dem Schriftstück in Hughs Hand war Richard Löwenherz für den Kirchenstand der Insel erpressbar geworden. Und wie die meisten Angehörigen des hohen Klerus – allen voran Geoffrey of York – stieß sich auch Hugh of Lincoln an der beinahe uneingeschränkten Regierungsgewalt Hubert Walters. Nach einem Blick in die Runde entrollte er das Dokument und verkündete stolz: »Der Herr scheint unserer Sache gnädig«, orakelte er mit sichtlichem Genuss, während er die Anwesenden Mann um Mann abtastete. »Die Zeit ist reif. Wir sollten uns nicht scheuen, unsere Forderungen vorzutragen.« Als er die fragenden Blicke der zum Teil nervös hin und her rutschenden Versammelten sah, schmunzelte er wissend. »Mit diesem Schriftstück hier«, er hielt das vergilbte Pergament in die Höhe, sodass es alle sehen konnten, ehe er fortfuhr, »hat Gott uns ein Mittel in die Hand gelegt, unseren eigenen Kandidaten in den Stuhl des päpstlichen Legaten zu erheben!« Bevor die Versammlung Einwände erheben oder Fragen stellen konnte, räusperte er sich, zog einen Lesestein aus den Falten seines Gewandes und verlas die bedeutsamen Zeilen mit sonorer Stimme:
»Um die Eigenständigkeit des englischen Klerus zu gewährleisten, erklären hiermit beide Parteien, dass von der Kirche geleisteter Beistand auf dem Festland rein freiwilliger Natur sein soll.«
»Wenn Richard Löwenherz unsere Unterstützung in diesem Krieg weiterhin genießen will, dann muss er unseren Mann akzeptieren«, setzte er hinzu. »Und wenn er …«, Hugh of Lincoln erhob die Stimme, »wenn er droht, unsere Güter zu konfiszieren, dann drohen wir ihm eben mit dem Kirchenbann!« Einige Minuten gewährte er dem Aufruhr, der aufkam, als er die Namen der Unterzeichner des Dokumentes verlas, freie Hand. Dann wies er auf eine ziselierte Schale, die neben einem Tintenfass auf dem Tisch in der Mitte der Halle darauf zu warten schien, gefüllt zu werden. Neben dem Gefäß waren in beinahe soldatischer Ordnung Federkiele aufgereiht, die in ihrer Makellosigkeit den Eindruck erweckten, als seien sie erst vor Kurzem dem Gefieder einer Gans entrissen worden. »Lasst uns über unseren eigenen Kandidaten abstimmen«, schlug Hugh of Lincoln vor und trat an die improvisierte Urne, um allen voran eines der kleinen Papiere mit einem Schriftzug zu versehen, es zweimal in der Mitte zu falten und in das Gefäß fallen zu lassen. »Dann wird Hubert Walter bei dem von ihm anberaumten Treffen eine böse Überraschung erleben.«
Kaum war er von dem Tisch zurückgetreten, folgten diejenigen seinem Beispiel, die sich bereits von dem Schock der unglaublichen Neuigkeit erholt hatten, und setzten – einer nach dem anderen – energisch den Namen ihres Kandidaten auf eines der Lose. Nach kaum mehr als einer halben Stunde hatten auch die letzten der Versammelten sich so weit gefasst, dass sie der Aufforderung des Bischofs nachkommen konnten. Und als die Urne bis zum Rand gefüllt war, begann Hugh of Lincoln mit der Auszählung. Neben einigen kleineren Haufen zeichnete sich schon sehr bald ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei Kandidaten ab. Sobald das letzte Pergament entfaltet und zugeordnet war, verkündete der Bischof von Lincoln mit feierlicher Stimme: »Geoffrey FitzPeter, unsere Wahl ist auf Euch gefallen.
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