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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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einfach verglaste Fenster weit offen standen, um die frische Frühlingsluft einzulassen. Eine Dienstmagd schwang emsig den Besen, während mehrere Männer damit beschäftigt waren, einen Karren zu entladen.
    »Jeanne!«, trompetete die mütterliche Bewohnerin der Burg, die soeben aus dem Inneren ins Licht der Vormittagssonne trat. Mit fliegenden Röcken eilte sie dem Mädchen entgegen, zog fragend die Brauen in die Höhe und drückte es nach kaum merklichem Zögern an den wogenden Busen, der unter der Belastung nachgab. »Was um alles in der Welt bedeutet dieser Aufzug?« Ihre Lippen schürzten sich, als sie mit spitzen Fingern die Kapuze vom Kopf des Mädchens zog. »Du brauchst ein Bad.« Ohne auf eine Antwort zu warten, zerrte sie Jeanne hinter sich her ins Haupthaus, dirigierte sie die Treppe hinauf und schob sie in eine geräumige Kammer. Während die hastig herbeigerufenen Bediensteten einen hölzernen Zuber mit heißem Wasser füllten, gab Jeannes Tante den Auftrag, die verschmutzten Kleider zu säubern. Gerade als diese sich mit einem seligen Seufzen in das duftende Nass sinken ließ, kehrte sie zu ihrer Nichte zurück. Nachdem sie die junge Frau einem wohlmeinenden Verhör unterzogen hatte, verdunkelten sich ihre gutmütigen Züge und sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Hier kannst du nicht bleiben«, stellte sie beklommen fest. »Dein Vater und deine Mutter sind auf dem Weg hierher. Sie müssen morgen ankommen.« Als sie den Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht der jungen Frau erblickte, setzte sie schnell hinzu: »Wenn sie dich hier finden, werden sie dich zu deinem Gemahl zurückbringen.« Sie zögerte einen Augenblick. »Und das werde ich auf keinen Fall zulassen!«
    Über eine Woche verbarg sich das Mädchen in einem einfachen Gasthof in dem Dorf ihrer Tante, während sie nach einem anderen Ausweg aus ihrem Dilemma suchte. All die Zeit wagte sie es nicht, einen Fuß vor die Tür zu setzen – aus Furcht davor, von einem der Männer ihres Vaters entdeckt zu werden. Als ihre Tante ihr endlich die Nachricht zukommen ließ, dass sich der Besuch dem Ende neigte, wäre sie vor Ungeduld fast geplatzt. Am Morgen nach der Abreise ihrer Eltern brach sie schließlich in aller Hast in Richtung Anjou auf, da ein Bote aus der Burg ihr zudem eiligst hatte mitteilen lassen, dass ihr Gemahl, Arnauld de Touraine, ihre Abwesenheit inzwischen entdeckt und Suchtrupps ausgeschickt hatte. Während sie ihre Stute Meile für Meile über die schlechten Wege jagte, welche die winzigen Dörfer miteinander verband, genoss sie trotz des aufkeimenden Hungers den Wind, der ihr erhitztes Gesicht kühlte. Nur noch wenige Stunden trennten sie von der Sicherheit der Mauern der altehrwürdigen Abtei Fontevrault, in der inzwischen auch die englische Königinmutter eingetroffen war. »Du bist immerhin ihre Großnichte«, hatte Jeannes Tante bemerkt, als die junge Frau ihr den Plan dargelegt hatte, den sie in der unfreiwilligen Klausur geschmiedet hatte. »Sie hat bestimmt Verständnis für deine Lage, denn in der Regel ist sie nicht allzu gut auf Männer zu sprechen.« Jeanne rümpfte die Nase und hoffte, dass ihre Tante recht behielt. Denn dann wäre sie vor Arnaulds Nachstellungen sicher. Ihr Magen knurrte, und sie fasste einen Entschluss. Wenn sie nicht vor Schwäche vom Pferd fallen wollte, dann musste sie das Risiko einer erneuten Rast auf sich nehmen, um sowohl sich als auch ihrem Reittier eine Stärkung zu gönnen. Vor ihr lichtete sich der dichte Laubwald, dessen Kühle und Dunkelheit sie trotz der Gefahr eines Überfalls der Straße vorgezogen hatte, weil die Wahrscheinlichkeit, von den Häschern ihres Gatten erspäht zu werden, unter dem schützenden Laubdach geringer war als unter freiem Himmel. Da es in der Nacht geregnet hatte, lag Feuchtigkeit über dem schlammigen Waldboden, der von den neu beschlagenen Hufen ihres Reittieres aufgewühlt wurde. Mehr als einmal wäre die kleine Stute um ein Haar gestrauchelt, weil herabgefallene Äste und halb eingegrabene Steine den Weg tückisch und unsicher machten. Immer wieder ließen die Geräusche aus dem Unterholz die junge Frau zusammenzucken und nervös über die Schulter blicken. Doch bisher war das Glück auf ihrer Seite, da die gefürchteten Wegelagerer, die in dieser Gegend ihr Unwesen trieben, ihre potentielle Beute noch nicht entdeckt zu haben schienen.
    Nach einigen Minuten gemächlichen Trabes erreichten Ross und Reiterin schließlich den Waldesrand und tauchten in die

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