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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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flimmernde Mittagshitze ein, um sich einem kleinen Flecken zu nähern. Die ärmlichen Holzkaten waren dicht aneinandergeschmiegt um einen gemauerten Brunnen errichtet worden. Im Schatten einer ausladenden Kastanie in der Mitte des Dorfplatzes drängten sich erschöpft wirkende Bauern, die wortlos ein hastiges Mahl hinunterschlangen, ehe sie sich wieder auf den Weg in die Felder machten, um das Land ihrer Herren zu bestellen. Neugierige Augenpaare folgten der jungen Frau, während diese sich hungrig nach einem Gasthof umblickte und das namenlose Dorf durchquerte, bis ein bemaltes Holzschild endlich das Gesuchte ankündigte. Vor der ordentlich wirkenden Schenke am Rand der staubigen Straße saß sie ab, schlang den Zügel ihrer Stute um den Balken, an dem bereits andere Tiere festgemacht waren, und betrat den Schankraum. Dank Jeannes Tante – die ihr zu ihrem Verdruss keinen Geleitschutz hatte bieten können – war der kleine Lederbeutel im Futter ihres Umhangs mit Gold- und Silberstücken gefüllt. Daher konnte sie es sich leisten, ein Stück des Bratens zu bestellen, der an einem riesigen Spieß über dem offenen Küchenfeuer briet. Der düstere Innenraum war trotz der frühen Stunde bis zum Bersten gefüllt mit rau wirkenden Gesellen. Doch da Jeanne nach wie vor Männerkleider trug, achtete sie nicht weiter auf die Burschen, die in einer Ecke lauthals grölend würfelten. Dankbar nahm sie die Holzschale entgegen, die der fette Wirt ihr reichte, und bat ihn um einen Krug verdünnten Cidre .
    Nach einem letzten Blick in Richtung der schmutzverkrusteten Soldaten schob sie mit dem Stiefel die Tür auf und ließ sich auf einer der Holzbänke vor der Taverne nieder. Die gewohnten Tischmanieren ignorierend machte sie sich über das Mahl her, spülte es mit dem Cidre hinab und rieb sich zufrieden den Bauch. Sie wollte sich gerade erheben, um ihr inzwischen gefüttertes und getränktes Ross loszubinden, als die Tür mit einem Krachen aufflog und drei der offenbar betrunkenen Kerle in ihre Richtung torkelten. »Na, Bürschchen«, lallte der erste, stützte sich schwer auf ihre Schulter und ließ sich neben ihr auf die Sitzfläche fallen. »Wie wär’s mit einem Spielchen?« Auch die anderen hatten Jeannes Tisch inzwischen erreicht. Und während der Zweite sich zu ihrer Rechten niederließ, nahm der Dritte gegenüber Platz, sodass das Mädchen zwischen den Raubeinen eingekeilt war. »Los, setz ein Silberstück!«, forderte ihr Gegenüber sie mit einem berechnenden Lächeln in den Augen auf. Während ihr Gehirn fieberhaft arbeitete, bemühte sich die junge Frau, den Männern mit keinem Wimpernzucken zu verraten, wie heftig ihr Herz hämmerte. Mit einem gelangweilten Kopfschütteln wischte sie sich betont derb den Mund am Ärmel ihrer Cotte ab und machte Anstalten, sich zu erheben.
    »Na, na«, protestierte der Kerl zu ihrer Rechten, dessen Unterarm von einer langen, schlecht verheilten Narbe entstellt wurde. »Du hältst dich wohl für was Besseres?« Die aufgesetzte Freundlichkeit der drei Soldaten wich mit erschreckender Geschwindigkeit einer beinahe körperlich spürbaren Feindseligkeit, und auch die Angetrunkenheit schien wie weggewischt. »Komm schon, du kannst es dir leisten!« Bevor Jeanne reagieren konnte, waren die beiden Kerle neben ihr aufgesprungen, hatten sie am Kragen gepackt und von der Bank gezogen. Während der eine sie in einem eisenharten Griff umklammert hielt, begann der andere, ihre Kleidung nach der Geldkatze abzutasten. Am Gürtel beginnend, wanderte er systematisch aufwärts. Aber kurz bevor er das kleine Säckchen erreicht hatte, spürte das Mädchen, wie seine Hand ihre Brust streifte und nach einem kaum merklichen Zögern hart umfasste. »Was haben wir denn da?«, fragte er halb belustigt, halb drohend und gab seinem Gefährten ein Zeichen, die junge Frau auf die Beine zu stellen. »Der Bursche ist eine Frau!«

Frankreich, Burg Beaufort, Mai 1194
     
    Die ungewöhnliche Hitze machte Berengaria von Navarra zu schaffen. Obwohl es noch nicht einmal Juni war, hatte das Gras bereits einen kränklichen Gelbton angenommen, und die bis vor Kurzem noch saftig grünen Blätter der Bäume begannen, sich von den Spitzen her braun zu färben. Wenn es nicht bald regnete, würden die gefürchteten Waldbrände auch in diesem Jahr den Bauern das Leben zur Hölle machen und die Preise für Lebensmittel ins Unermessliche steigen lassen. Der Duft frischen Heus vermischte sich mit dem trockenen, die Schleimhäute

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