Im Reich der Löwin
mit zufriedener Miene den eng gewundenen Anstieg zu der im Sturm genommenen Festung hinauf und ließ den Blick über die Verwüstung schweifen. »Ihr wisst, was Ihr zu tun habt?«, fragte er Devizes zum wiederholten Mal. Und wenngleich noch immer ein gewisses Widerstreben in den Augen des Chronisten lag, nickte dieser und senkte den Kopf. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf Lacklands verbitterte Züge. Sein Bruder würde die Demütigung, die er ihm zugefügt hatte, bereuen! Während er ihn, Prinz John, ausgeschickt hatte, als Zeichen seiner Treue die Festung Evreux zurückzuerobern, hatte sich der König selbst in aller Eile auf den Weg nach Verneuil gemacht, wo die Garnison nur noch mit Mühe und Not der französischen Belagerungsmacht Widerstand leistete. Doch da Richard Löwenherz seinem jüngeren Bruder offensichtlich nicht traute, hatte er dem Prinzen mit Mercadier einen Aufpasser zur Seite gestellt, der seinem König über sämtliche Vorkommnisse Bericht erstatten würde.
Vermutlich würde Richard entsetzt sein über den Verstoß gegen das Gebot der Ritterlichkeit, den perfiden Verrat an seinem ehemaligen Verbündeten – Philipp von Frankreich – und die bestialische Grausamkeit, die John mit der Abschlachtung der Einwohner begangen hatte. Aber er würde dem Bruder die Notwendigkeit dieses Schrittes schon deutlich machen. Nur wenn in Zukunft klar war, dass diejenigen, die dem rechtmäßigen Herrscher über die Normandie Widerstand leisteten, keinerlei Gnade zu erwarten hatten, konnte die Rückeroberung erfolgreich sein. Er schnaubte grimmig. Zudem verfolgte er noch einen anderen Plan. Denn von diesem Tag an würde jede noch so unbedeutende blutige Grausamkeit von Richards verschmähtem Liebhaber Devizes zu Pergament gebracht und als Geheiß des englischen Königs ausgegeben werden. So würde der Hass gegen den englischen König ins Unermessliche steigen und Johns eigener Ruf dank seiner Schlachtenerfolge gefestigt. Wie leichtsinnig Richard doch manchmal in der Wahl seiner Bettgefährten war! Während ein warmes Triumphgefühl seine Brust erfüllte, glitt Lackland im Innenhof der gefallenen Festung aus dem Sattel, stieß einen um sein Leben flehenden französischen Soldaten grob mit dem Fuß zur Seite und beobachtete, wie Mercadier seinem blutigen Handwerk nachging. Auch diese Strohpuppe seines Bruders würde ihm gute Dienste leisten, dachte er schadenfroh. Es würde ein Leichtes sein, die abscheulichen Taten des normannischen Söldnerführers, der Löwenherz treu ergeben war, gegen den englischen König zu verwenden, um dessen Ruf für immer zu beflecken.
Der Norden Frankreichs, vor den Toren der Festung Verneuil, Ende Mai 1194
Während sein Bruder John sich mit einem zufriedenen Lächeln die Hände rieb, preschte Richard Löwenherz knapp zwanzig Meilen weiter südlich dicht über den Hals seines Hengstes gebeugt auf die Zelte der Belagerungsarmee zu, welche die mächtige Festung Verneuil wie ein Gürtel aus Pilzen umgaben. In der Ferne donnerte das Feuer der schweren Steingeschosse, die die Mauern bereits gefährlich geschwächt hatten. Doch da Philipp von Frankreich immer noch an der altmodischen, längst überholten Art des Ansturmes festhielt, hatte Richard die Schwäche der Franzosen bereits aus meilenweiter Entfernung erkannt. Wie immer befanden sich Philipps Nachschublinien viel zu weit von der Hauptlinie entfernt, sodass es der starken Vorhut, mit der Löwenherz seiner Armee vorauseilte, ein Leichtes sein würde, sie abzuschneiden und wie ein Hornissenschwarm zwischen die Belagerer zu fahren. Voller Arroganz hatte der Franzose die Geschwindigkeit unterschätzt, mit der der englische König den Kanal überqueren und in das Kriegsgeschehen eingreifen würde. Weshalb die Anzahl der Truppen, die er vor Verneuil zusammengezogen hatte, lächerlich gering war im Vergleich zu der Streitmacht, die auf dem Weg war, ihn zu überrollen.
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Keine drei Schritte neben ihm gruben sich die Hufe des Apfelschimmelwallachs, den Roland vor zwei Tagen von Richard als Geschenk erhalten hatte, in den schweren Boden. Die am Morgen niedergegangenen Schauer hatten den Untergrund aufgeweicht und schlammig gemacht. »Bleib direkt neben mir!«, rief der König, verstärkte erneut den Druck auf die Flanken seines Rosses und stob – allen voran – auf die hintersten Linien der Franzosen zu. Dort mähte er ohne viel Federlesens drei Männer mit seinem mächtigen Langschwert nieder, ehe er durch die Reihen der
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