Im Reich der Löwin
nicht einmal dazu durchringen kannst, ihm das Fell gerben zu lassen?!« Seine Stimme hatte einen schneidenden Unterton. »Du weißt, was man über den Tod deines Vaters munkelt!« Mit einem ungeduldigen Schulterzucken machte sich der Earl of Leicester von ihm los, fuhr sich mit der Rechten durch den Schopf und trat auf Guillaume zu, der erschrocken zurückwich, nur um gegen den Panzer der hinter ihm stehenden Wache zu prallen.
»Gibt es irgendeinen Grund, warum ich dich nicht im Kerker verrotten lassen sollte?«, knurrte er, packte seinen jüngeren Halbbruder an der Brust des modisch geschnittenen Surkots und zog ihn so nah an sich, dass Guillaume den Atem des Größeren auf der Haut spürte. »Bitte, Harold«, wiederholte der Junker leise, und sein weiches Gesicht verzog sich zu einer Grimasse der Furcht. »Ich hatte mit Vaters Tod nichts zu tun!« Eine Träne rann die bartlose Wange hinab und versickerte in Harolds Ärmel. »Ich konnte mich dem Willen des Prinzen doch nicht einfach widersetzen«, wimmerte er. »Niemand wusste, ob Richard Löwenherz noch am Leben ist.« Erbost runzelte Harold die Brauen und schüttelte ihn unsanft. »Das ist ja alles schön und gut«, stieß er unwillig hervor. »Aber womit erklärst du die Tatsache, dass du dir meine Ländereien unter den Nagel reißen wolltest und gegen meine Männer gezogen bist?« Seine Stimme war gefährlich ruhig. Die gutaussehenden Züge wirkten, wie aus Stein gemeißelt, als er den Bruder grob von sich stieß. »Oh, mein Gott!«, heulte Guillaume auf und ließ sich auf die Knie fallen. »Mutter hat gesagt, es seien Gesetzlose!«
»Gesetzlose!«, schnaubte Harold verächtlich und wandte den Blick von der zusammengesunkenen Gestalt ab. »Harold!« Das flehende Gesicht wirkte beinahe wächsern in seiner Bleichheit. »Ich hatte Angst.« Er erstickte in einem Schluchzen. »Als man mir sagte, dass es tatsächlich deine Männer waren, und dass der König Jagd auf seinen Bruder machen würde, wusste ich keinen anderen Ausweg, als John hierher zu folgen.« »Verdammt, Harold«, unterbrach Robin die Szene. »Lass dich von dieser verlogenen Schlange nicht um den Finger wickeln!« Er trat direkt vor den Freund und blickte ihm eindringlich in die Augen. »Er lügt!« Obwohl Harold seinen hinterhältigen Bruder am liebsten höchstpersönlich zuerst verprügelt und dann eingesperrt hätte, lag etwas in dem Ton des anderen, das ihn dazu veranlasste, das Gegenteil dessen zu tun, was Robin von ihm erwartete. »Nein«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Das lasse ich ganz gewiss nicht.« Mit drei langen Schritten war er bei Guillaume, zog ihn auf die Beine und drückte ihn mit dem Rücken gegen die kalten Steinquader der Wand. »Ich werde genau das tun, was du immer vorhattest, als wir noch Kinder waren.« Er lachte freudlos. Damals hatte Guillaume ihn in seiner merkwürdigen Auffassung von Erbfolge damit aufgezogen, dass er ihn – wenn er einmal die Besitztümer ihres Vaters erben würde – als Verwalter einsetzen würde. Als Sohn beider Eltern war er immer der Meinung gewesen, wertvoller zu sein und mehr Rechte zu besitzen als sein älterer Bruder, dessen Mutter im Kindbett gestorben war. »Du wirst mit dem nächsten Schiff nach England zurückkehren und dich um meine Ländereien kümmern«, sagte er kalt. »Ich werde Catherine eine Botschaft zukommen lassen. Du wirst ihr in allem, was sie von dir verlangt, gehorchen! Und wenn ich auch nur ein einziges Wort der Klage von ihr höre, dann gnade dir Gott!«
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Als sich wenige Minuten später die schwere Tür hinter dem entlassenen Guillaume of Huntingdon schloss, wirkte es, als habe eine Hand die Reue aus seinem Gesicht gewischt. Wie einfältig Harold doch war! Tatsächlich war es Guillaume gelungen, der verdienten Strafe zu entgehen und seine Haut zu retten. Allerdings hatte er nicht zu hoffen gewagt, dass Harold so naiv sein würde, ihm die Verwaltung seines Besitzes zu übertragen. Wie einfach würde es sein, seine Gemahlin zu übervorteilen und Stück für Stück die Kontrolle über die beiden Grafschaften an sich zu reißen! Wenn Harold nicht im Feldzug gegen Philipp fiel, dann würde Guillaume etwas anderes einfallen, um sein Erbrecht doch noch zu erhalten. Aber zuerst würde er sich um die Brut seines Bruders kümmern müssen! Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen eilte er den Korridor entlang, um Vorbereitungen für seine Abreise nach England zu
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