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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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treffen.
     
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    Während Guillaume seinen Triumph feierte, grub sich eine steile Falte in die Stirn des englischen Königs. »Sag es schon!«, herrschte der nur noch mit einem Untergewand bekleidete Richard Löwenherz seinen Halbbruder an, der schüchtern den mächtigen Rücken des Königs betrachtete. »Ich kann dieses lange Gesicht nicht mehr ertragen.« Als der furchteinflößende Krieger herumwirbelte und auf ihn zutrat, wich Roland erschrocken in den Durchgang zu der Kammer zurück, die er sich mit Humphrey teilte, und hielt unwillkürlich den Atem an. »Vergiss die Etikette«, brummte Richard. »Wir sind allein.« Etwas ruhiger warf der Hüne sich ein seidenes Nachthemd über, schlenderte in die Mitte des Raumes zurück und ließ sich auf das breite Bett fallen, dessen schwerer Baldachin so weit durchhing, dass es wirkte, als gäbe er unter einer enormen Last nach. »Spuck es aus«, ermunterte er den Jungen mit einem grimmigen Lächeln. Und als dieser immer noch zögerte, setzte er scherzend hinzu: »Oder muss ich es aus dir herausprügeln?« Gegen seinen Willen entlockte dieser gar nicht so abwegige Gedanke dem dunkelhaarigen Knaben ein trockenes Lachen, das ihm jedoch in der Kehle stecken blieb, als er die drohende Wolke des Zorns in Richards durchdringende Augen treten sah. Beschämt blickte er auf die abgetretenen Spitzen seiner Stiefel und wartete darauf, dass sich sein Herzschlag beruhigte.
    »Warum habt Ihr John begnadigt?«, platzte er schließlich heraus und hob die Augen, in denen Verwirrung und Missbilligung lagen. »Warum wird er nicht bestraft für das, was er getan hat?« Einen Augenblick lang hing die Frage im Raum, bis Löwenherz sich nach einigen Momenten erhob, vor einen kostbaren Wandbehang trat und die Umrisse eines verwundeten Wildschweins mit dem Finger nachfuhr. »Zu mir seid Ihr immer so hart und unnachgiebig.« Rolands Stimme drohte zu kippen, und er schluckte schwer. »Ist es, weil er Euer richtiger Bruder ist?«, setzte er beinahe flüsternd hinzu, als Richard weiterhin schwieg. Langsam, beinahe als bereite ihm die Bewegung Pein, wandte Richard sich zu seinem Halbbruder um, runzelte die Stirn und ließ die Zungenspitze über die Unterlippe gleiten. »Das ist es also, was dich bedrückt«, stellte er sachlich fest. »Es geht gar nicht um Lackland.« Roland nickte beschämt. Obgleich er sich vor dem Zorn des Königs fürchtete, hatte dessen Frage eine Schleuse geöffnet, die sich nicht so ohne Weiteres wieder schließen ließ. All die Bitterkeit und Enttäuschung der vergangenen zwei Monate schlugen wie eine gewaltige Woge über ihm zusammen. »Wir haben beide den gleichen Vater«, wisperte er. »Und doch wird mich niemals jemand mit Stolz in den Augen anblicken.« Er zögerte einen Augenblick. »Und niemand wird jemals Achtung für mich empfinden!« Es war heraus! Seit seiner Ankunft im Feldlager des englischen Königs hatte das Gefühl der Zweitklassigkeit ein Loch in Rolands Herz gefressen. Der Vater, den er nie gekannt hatte, hatte ihm eine Erblast aufgebürdet, unter der er zu zerbrechen drohte. Heiße Tränen brannten in seinen Augen. Um sich vor Richard keine Blöße zu geben, wandte er ihm hastig den Rücken zu und schlug die von der harten Stallarbeit rauen Hände vors Gesicht. »Sieh mich an.« Richards tiefe Stimme war erfüllt von ungewöhnlicher Milde. Als er den Knaben mit sanfter Gewalt zwang, zu ihm aufzublicken, hatte er deutlich Mühe, seine Gefühle für den Jüngeren zu verbergen. »Ich fasse dich nur deshalb so hart an, weil ich möchte, dass aus dir ein tapferer und ehrbarer Krieger wird«, versetzte er ruhig. »Als Bastard unseres Vaters wirst du es immer schwerer haben, als John und ich es jemals hatten«, gestand er. »Aber wenn du lernst, mit den Sticheleien und dem Neid der anderen umzugehen, dann kann dir außer dir selbst niemand im Weg stehen!« Er lachte. »Sieh dir Geoffrey an! Man kann wohl kaum behaupten, dass ihn niemand ernst nimmt!« Roland schluckte. Aber der Gedanke an den Bischof von York, an dessen Hof er aufgewachsen war, vertrieb die Verzweiflung, die ihm die Brust zu sprengen drohte. Nach kurzem Schweigen verkündete Richard entschlossen: »Du wirst mich von jetzt an überall hin begleiten. Ich werde mich persönlich um deine Waffenausbildung kümmern.« Er grübelte einen Augenblick nach und fuhr Roland derb durch den pechschwarzen Schopf, bevor er schmunzelnd hinzufügte: »Und das Gleiche gilt für deinen Bruder, der – wie ich

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