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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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wirst dich jetzt erst einmal stärken und etwas anderes anziehen«, setzte sie mit einem kritischen Blick auf die zerfetzte Cotte hinzu. »Und dann fängst du noch einmal von vorn an.«
     
    ****
     
    Als die glühend rote Abendsonne am Horizont versank, trat Jeanne mit einem schwachen Lächeln von dem kleinen Fensterchen in der ihr zugewiesenen Kammer zurück und ließ sich auf die schmale Bettstatt sinken. Sie war in Sicherheit! Nachdem sie dem raubeinigen Gesellen, der sie vor dem Gasthof am Kragen gepackt hatte, das in ihrem Umhang verborgene Messer in den Arm gerammt hatte, war sie so schnell davongerannt, wie sie nur konnte. Bevor die anderen beiden zur Besinnung gekommen waren, saß sie bereits im Sattel und preschte in Richtung Süden davon. Die Haare in ihrem Nacken richteten sich auf, als sie an das furchtbare Erlebnis zurückdachte. Zwei Tage und Nächte war sie ohne Unterlass geritten – hatte nur lächerlich kurze Pausen eingelegt, um ihr Pferd zu tränken und sich selbst an einem der kleinen Bächlein zu laben. Als sie die Mauern der Abtei bereits am Horizont ausmachen konnte, hätte ihr Abenteuer beinahe noch ein übles Ende genommen, da ein halbes Dutzend Männer in Arnaulds Farben an ihr vorbeigaloppiert waren, sie jedoch, wie durch eine glückliche Fügung des Schicksals, nicht erkannt hatten. Wenn sie sich ausmalte, was ihr Gemahl getan hätte, wenn seine Schergen sie in die Hände bekommen hätten, griff eine kalte Hand nach ihrem Herzen.
    Doch nun hatte sich erst einmal alles zum Guten gewendet, da Aliénor von Aquitanien ihr versprochen hatte, sie unter ihre Fittiche zu nehmen. Aliénor hatte verächtlich geschnaubt, als Jeanne ihr schamhaft von der erzwungenen Ehe und der furchtbaren Hochzeitsnacht mit dem Grafen de Touraine berichtet hatte, und schließlich mit einem abfälligen Stirnrunzeln bemerkt: »Deine Mutter war schon immer eine unterwürfige Närrin! Sie hätte so etwas niemals zulassen dürfen! Sobald Richard die östliche Normandie von Philipp von Frankreich zurückerobert hat, werden wir zu ihm reisen und ihn bitten, die Annullierung der Ehe in die Wege zu leiten.« Da die Ehe niemals vollzogen worden war, würde selbst der Papst keine Einwände finden, hatte die alte Dame mit einem beinahe vergnügten Schmunzeln hinzugefügt.
    Abwesend erhob sich Jeanne und knetete das lederne Lesezeichen, das die auf einem niedrigen Tischchen aufgeschlagene, kostbare Bibel zierte. Wie sehr sie hoffte, dass die Königinmutter recht behielte! Nachdem sie einen Moment die müden Augen geschlossen hatte, wandte sich die junge Frau dem Silberspiegel zu ihrer Rechten zu und starrte versonnen auf die glänzende Oberfläche. Während sie ihr Haar löste, ließ sie die Erleichterung wie eine Welle über sich zusammenschlagen und versuchte, die Enge in ihrer Kehle zu ignorieren.

Frankreich, Burg Beaufort, Juni 1194
     
    »Ihr solltet jetzt besser gehen.« Mit einem Lächeln in den warmen Augen legte Bruder Anselm dem besorgten Ralph de Beaufort die Hand auf die Schulter und half ihm auf die Beine. »Sie braucht noch viel Ruhe.« Das Gesicht des Ritters war bis auf zwei rote Flecken auf den Wangenknochen bleich. Seine Züge waren von Sorge und Glückseligkeit gezeichnet, als er auf die schmale Gestalt hinabblickte, die in den dicken weißen Kissen verloren wirkte wie ein Kind. Das Haar seiner Geliebten fächerte sich in dicken Spirallocken – Wickenranken gleich – auf dem makellosen Leinen der Laken, und die farblosen Lippen und dunklen Schatten unter den Augen unterstrichen die Blässe der Kranken. »Ich werde ein bisschen schlafen«, flüsterte sie und schloss erschöpft die Augen. »Und wenn ich aufwache, bin ich schon wieder ein wenig stärker als vorher«, tröstete sie ihren Liebhaber schwach. Einen schweren Seufzer unterdrückend, beugte sich Ralph ein letztes Mal zu ihr hinab, küsste sie auf die Stirn und legte einige Momente lang die Hand auf ihren gerundeten Unterleib, in dem wie durch ein Wunder immer noch sein Spross heranwuchs. »Kommt«, drängte Bruder Anselm und öffnete die Tür zu dem geräumigen Gemach, in dem Berengaria die vergangenen drei Wochen mit der durch eine unerklärliche Blutung hervorgerufenen Krankheit gerungen hatte. »Der Schlaf wird ihr und dem Kind die verlorene Kraft zurückgeben.« Nachdem er sich versichert hatte, dass der Ritter ihm folgte, fuhr er sich mit einer nachdenklichen Geste über die Tonsur und bemerkte versonnen: »Ihr hattet wirklich großes Glück.«

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