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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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mit einem dankbaren Nicken gewähren. Seit der Schlacht von Verneuil war das Verhalten des jungen Edelmannes von einem Extrem ins andere umgeschlagen. Der unverhohlene Hass und die Feindseligkeit, mit denen er Roland gemustert hatte, als dieser an Richards Seite erschöpft und blutverschmiert aus der eingenommenen Festung zurückgekehrt war, hatte sich auf unerklärliche Weise in Bewunderung verwandelt – und das obwohl er den nur ein Jahr Älteren inzwischen immer öfter an der Seite des Königs bei Tisch bedienen musste. »Ich kann mich auch um das Sattelzeug kümmern«, bot Humphrey an. »Dann kannst du das Bodenstroh im Schlafgemach des Königs wechseln.« Dankbar versetzte Roland seinem Apfelschimmel einen Klaps auf die Hinterhand und wandte sich Richards Hengst zu, der ohne jeglichen erkennbaren Grund auf einmal anfing, nervös zu tänzeln. »Du hast recht«, erwiderte er und drängte das feurige Schlachtross mit der Schulter in eine der engen Boxen, um es abzusatteln. »Wir sollten uns besser beeilen, damit alles vor Einbruch der Dämmerung erledigt ist.« Hätte ihm nicht die elegant geschwungene Kruppe des Tieres den Blick auf den Sohn William Marshals versperrt, dann hätte er sich sicherlich über den Ausdruck des Triumphes in dessen hellgrünen Augen gewundert.
    Als er eine halbe Stunde später den Anstieg in den innersten Festungsring erklomm, kamen ihm Richard Löwenherz und William Marshal entgegen, die mit dem Barden Blondel in eine angeregte Diskussion vertieft waren. Roland ignorierend, schlenderten sie auf den Hof vor den Stallungen zu, wo Humphrey soeben einen bis zum Überlaufen gefüllten Eimer aus dem Brunnen zog, um den Schmutz aus der Sattelgasse zu spülen. Kaum fiel sein Blick auf seinen Sprössling, verdunkelten sich die Züge des alten Ritters zu einer wahren Gewittermiene, und Roland vernahm ein verächtliches Schnauben. »Fasst ihn ruhig härter an«, ermunterte der Earl of Pembroke den König. »Er hat die Weichlichkeit seiner Mutter geerbt!« Mit einem unterdrückten Feixen eilte Roland weiter und blickte sich erst wieder um, als die Zinnen ihm Sichtschutz boten. Während Humphrey mit gesenktem Haupt die Spitzen seiner Stiefel betrachtete, schien sein Vater ihm eine erzürnte Predigt zu halten. Und nachdem er dem Jungen eine Ohrfeige versetzt hatte, schlich dieser wie ein geprügelter Hund in das Stallgebäude zurück. Seit er denken konnte, hatte Roland den berühmten Ritter, der Gerüchten zufolge über fünfhundert Turniere gewonnen hatte, mit einer Art Heldenverehrung betrachtet. Doch in diesem Augenblick schien das Bild, das er sich gemacht hatte, zu verzerren. Vielleicht war es genauso schwer, einen so legendären Vater zu haben, wie der Bastard eines liebestollen Königs zu sein, dachte er bitter und beschloss, in Zukunft ein wenig freundlicher zu Humphrey zu sein.
    »Roland!« Die glockenhelle Stimme seines Bruders riss ihn aus den Gedanken, und er wandte sich um, um den freudig auf ihn zueilenden Henry zu begrüßen. Seit Richard sich um seine Ausbildung kümmerte und Blondel die feineren Seiten der Erziehung des begabten Knaben übernommen hatte, schien er wie ausgewechselt. Vor zwei Wochen war er offiziell zu Robin of Loxleys Knappen ernannt worden, und die Beklommenheit und Unsicherheit, die wie ein Alpdruck auf ihm gelastet hatten, schienen mit dem Pagengewand abgelegt. In einer ruhigen Minute – zwischen Schwertkampf und Lanzenstechen – hatte Henry seinem Bruder gestanden, dass er es Blondel zu verdanken hatte, dass er sich nicht mehr vor den Gräueln des Krieges fürchtete, vor denen er sich zuvor am liebsten in einem Kloster verkrochen hätte. Man musste sich seinen Ängsten stellen, sie sich eingestehen und nicht versuchen, sie zu verdrängen, dann konnten sie einen nicht in den ungünstigsten Augenblicken überraschen und machtlos werden lassen. »Er hat mir auch bei dem Entwurf eines Artusepos geholfen«, hatte Henry mit leuchtenden Augen berichtet. »Ich werde diesen Feldzug als Hintergrund benutzen!« Roland, der zu seinem Leidwesen keinerlei Talent für die Dichtung besaß, hatte die ersten Zeilen der Verserzählung überflogen, um sie seinem Bruder mit Hochachtung und Bewunderung im Blick zurückzugeben. Er war sicher, dass aus Henry eines Tages ein berühmter Troubadour werden würde.
    »Roland«, wiederholte der rotblonde Knabe. »Wusstest du, dass die Herrin dieser Festung mit Richard verwandt ist?«, fragte er mit einem kleinen Stirnrunzeln, das sein

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