Im Reich der Löwin
noch einmal eines Besseren besann und dem Freund riet: »Du solltest besser etwas diskreter sein. Ich bin mir nicht sicher, ob Marian viel Humor in diesen Dingen besitzt.« Mit diesen Worten schob er die Leinwand zur Seite, trat in den lauen Abend hinaus und machte sich auf den Weg zu seiner eigenen Unterkunft. Zwar waren die wenigsten der Ritter Verkörperungen ehelicher Treue, doch schon als Knappe hatte Harold die billige Lustbefriedigung in den Lagern der Krieger mit Abscheu erfüllt. Für ihn zählte nur eine einzige Frau. Und bevor er Catherine mit einer der Huren betrog, die wie Heuschrecken über die Männer herfielen, wo immer sie auftauchten, würde er sich lieber die Hand abhacken!
Als bei der Erinnerung an die verlockenden Formen der Magd trotz aller eisernen Entschlossenheit ein heißer Stich durch seine Lendengegend zuckte, grub er mit so viel Gewalt die Nägel in die feuchten Handflächen, dass die Haut riss. Mit einem unterdrückten Fluch leckte er einen winzigen Blutstropfen ab, starrte wütend auf die roten Halbmonde und stapfte, starr geradeaus blickend, zu seiner großzügigen Behausung zurück, wo er sich mit schwerem Herzen in einen der leinenbespannten Hocker fallen ließ. Wie sehr ihm die Berührung seiner Gemahlin fehlte!, fuhr es ihm durch den Kopf, den er schwer nach hinten fallen ließ. Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich das Grün ihrer Augen, den feinen Schwung ihrer Lippen und die sanften Rundungen ihres geschmeidigen Körpers in Erinnerung zu rufen. Doch, wie schon so oft zuvor, musste er feststellen, dass der vage Schemen, der vor seinem inneren Auge auftauchte, nicht viel gemein hatte mit der feurigen Liebhaberin, die er in Huntingdon zurückgelassen hatte. »Der Teufel soll Philipp holen«, schimpfte er leise, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und zog die Kettenkapuze über den Kopf. Der Kampf würde ihn auf andere Gedanken bringen! Wenigstens hoffte er das. Mit einem resignierten Brummen stülpte er den normannischen Helm auf, legte Bein- und Armschienen an und gürtete sein Schwert.
Grafschaft Anjou, Abtei Fontevrault, 1. Juni 1194
Zur selben Zeit, als sich ihr Sohn für einen Vorstoß in den Süden Frankreichs bereit machte, riss in der Abtei Fontevrault der Flügelschlag einer nervös unter dem Deckengewölbe hin und her flatternden Fledermaus Aliénor von Aquitanien aus den nostalgischen Gedanken. In ein einfaches Gewand gekleidet, kniete sie im Chor der Abteikirche vor dem Grab ihres verstorbenen Gemahls, Henry II., an dessen Seite auch sie einmal zur Ruhe gebettet werden würde, und betete. Das angenehm kühle Langhaus der Kirche lag zu dieser Stunde ruhig und verlassen da – waren doch die meisten Bewohner der gemischten Klosteranlage damit beschäftigt, ihren täglichen Pflichten im Garten, der Bibliothek oder in dem Küchengebäude nachzugehen. Mit einem tiefen Seufzer erhob sie sich langsam, warf der steinernen Silhouette Henrys einen letzten Blick zu und begann, auf die schwere Doppelpforte zuzuschreiten. Als sie die Tür durchschritt, blinzelte sie und schloss einen Moment lang die schmerzenden Augen, um die grelle Nachmittagssonne auszusperren. Nach einigen tiefen Atemzügen, in denen sie die Wärme des Tages in sich aufsog, öffnete sie die Augen wieder, um sie sofort darauf erstaunt aufzureißen, als sie der Gestalt gewahr wurde, die soeben ein schmutziges Reittier an einem der knorrigen Kirschbäume festband und zielstrebig auf sie zueilte.
»Mylady!« Trotz der verschlissenen Männerkleidung ließ sich die Königinmutter keine Sekunde lang täuschen. Zu vertraut waren der graziöse Gang und die schlanken Umrisse des unerwarteten Besuchers, auf dessen Gesicht Unsicherheit, Furcht und Hoffnung Widerstreit hielten. Auch verrieten das bartlose Kinn und die der fadenscheinigen Coiffe entflohenen, rotbraunen Strähnen, dass der Eindruck, der erweckt werden sollte, täuschte. »Jeanne?«, fragte sie erstaunt. Mit einer ungeduldigen Geste gebot sie dem Mädchen, sich aus dem tiefen Knicks, in den es gesunken war, zu erheben, und reichte ihrer Großnichte die Hand. »Was hat das zu bedeuten?« Während dicke Tränen ihre staubverkrusteten Wangen hinabrannen, stieß die am ganzen Körper bebende Jeanne in unzusammenhängenden Worten eine Erklärung hervor, welche die alte Dame jedoch keinesfalls zu befriedigen schien. »Warte, Kind«, unterbrach diese die junge Frau schließlich und nahm die Hand ihrer zitternden Großnichte in die ihre. »Du
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