Im Reich der Löwin
versetzte dem Tier einen leichten Schlag auf die Hinterhand. Mit einem widerwilligen Schnauben warf der Falbe den Kopf zurück, stampfte einmal auf und trabte an.
»Nicht so schnell!«, heulte William, der mit seinen kurzen Beinchen keine Chance hatte, sich auf dem breiten Rücken zu halten. Wie eine von einem Betrunkenen geführte Gliederpuppe hüpfte er im Sattel auf und ab, während kalte Furcht und ein beachtenswerter Überlebensinstinkt ihn dazu veranlassten, sich am Hals des Pferdes festzuklammern. Während er das Schauspiel gleichgültig beobachtete, hob Guillaume erneut die Gerte, um den Hengst zum Angaloppieren zu bewegen, und ließ sie dicht hinter dem Knaben auf den Pferdeleib niedersausen. Wer würde Fragen stellen, wenn der Junge bei einem Unfall ums Leben kam? Lächelnd dachte er an die drei Tage im vergangenen August zurück, in denen Harold – der nach England gereist war, um bei den neu eingeführten Ritterturnieren Nachschub für Richards Truppen zu rekrutieren – seine Gemahlin besucht hatte. Kaum war die Nachricht von seiner bevorstehenden Ankunft nach Huntingdon vorgedrungen, als Guillaume seiner jungen Schwägerin mit wenigen deutlichen Worten klargemacht hatte, was es für ihren Nachwuchs bedeuten würde, wenn sie ihrem Gemahl das kleine Geheimnis anvertraute, das sie mit ihm teilte. Die Verzweiflung in ihren Augen hatte ihn mit so viel Verlangen erfüllt, dass er sie am liebsten an Ort und Stelle an die Wand gepresst und ihre Röcke zerrissen hätte. Doch die Anwesenheit Alans, des Steward s, hatte die Dinge kompliziert.
Später war er froh darüber gewesen. Denn diesen Akt wollte er sich für den Augenblick seines vollkommenen Triumphes aufbewahren – wenn Harold entmachtet war und Guillaumes Mission Früchte getragen hatte. Aber bevor er im Auftrag John Lacklands nach London reiste, um einige Fäden miteinander zu verknüpfen, musste er sich um den Stammhalter seines Bruders kümmern. »Noch ein bisschen schneller?«, fragte er scheinheilig. »Was immer du willst, William!« Mit einem hässlichen Klatschen traf die Lederschnur den Hengst an der Nase, woraufhin das Tier ein wütendes Wiehern ausstieß, nach hinten ausschlug und wie von wilden Hummeln gejagt davonstob. Wie zufällig ließ Guillaume den langen Zügel fahren, warf die Hände in die Höhe und rief gespielt entsetzt aus: »Oh, mein Gott! Helft mir!« Kaum war sein Ruf verklungen, als augenblicklich eine Handvoll Männer herbeigeeilt kam und sich wild durcheinander rufend auf die ungesattelten Rücken einiger grasender Pferde schwang, um den Sohn des Earls, der erstaunlicherweise immer noch im Sattel klebte, vor dem sicheren Tod zu retten. Gerade als das Kind auf einen tief hängenden Ast zuraste, kam seine totenbleiche Mutter durch das Burgtor auf den Reitplatz gestürmt, stieß einen markerschütternden Schrei aus und fiel händeringend auf die Knie »Tja, meine Liebe«, zischte Guillaume, der dicht hinter sie getreten war, durch zusammengepresste Kiefer. »Ihr solltet ein wenig besser auf ihn achtgeben!«
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Zwei Wochen später, als sich die langen Sommerabende bereits merklich verkürzt hatten, verabschiedete sich Marian of Loxley mit einem Kuss auf die Wange von Catherine of Leicester, die drei Tage zuvor in erbärmlichem Zustand an ihre Tür geklopft hatte – auf den Armen die beiden schlummernden Kinder und nichts am Leib außer dem einfachen Reisegewand, in dem sie geschlafen zu haben schien. »Sei vorsichtig!«, mahnte sie und heftete den Blick der klaren, grauen Augen auf die Freundin, die sich verstohlen eine Träne von der Wange wischte. In abgehackten Worten hatte die aufgelöste junge Frau der Lady of Loxley von der abgewendeten Katastrophe berichtet, die ihren Sohn beinahe das Leben gekostet hatte. »Er wird ihn eines Tages umbringen«, hatte sie geschluchzt. »Ganz egal, was ich tue.« Von Weinkrämpfen unterbrochen, hatte sie erzählt, wie Harolds Männer in letzter Sekunde den durchgegangenen Hengst am Zügel gepackt und William aus dem Sattel gehoben hatten, der wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war. Als Guillaume nach London aufgebrochen war, hatte die Freundin Hals über Kopf die Flucht ergriffen. Halb hysterisch vor Furcht hatte sie Marian von den Drohungen berichtet, die sie davon abgehalten hatten, ihrem Gemahl ihr Herz auszuschütten, als dieser vor beinahe einem Jahr nach Huntingdon gekommen war, um für Richard Löwenherz weitere Männer zusammenzuziehen. »Guillaume hat die
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