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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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»Durch die Kornlieferungen nach Frankreich leiden die Normannen zwar keinen Hunger mehr, aber auch unsere Ernten waren nicht viel besser!« Nach einem kurzen Räuspern legte sie die Linke auf ihre Brust und setzte zornig hinzu: »Überall nichts als Not und Leid!« Erschöpft hob FitzOsbern die Hand, um die immer lauter werdenden Unwillensbekundungen zu unterbinden. »Ihr habt ja recht«, räumte er verdrießlich ein. »Aber ich bin nicht nur Steuerbeamter, sondern auch Kaufmann.« Mit einer ausladenden Geste wies er hinter sich, wo sich Fässer und Kisten, die darauf warteten, die Themse hinabtransportiert zu werden, zu riesigen Türmen stapelten. »Mir geht es nicht anders als Euch.« Er seufzte. »Viele meiner Amtsgenossen wagen es schon fast nicht mehr, Eintreiber loszuschicken«, versetzte er mürrisch. »Aber was sollen wir tun?« Nach der Erhebung des immensen Lösegeldes war England finanziell schon so weit in den Knien, dass es eigentlich Jahre dafür benötigt hätte, um sich zu erholen. Doch der Krieg mit Philipp von Frankreich schien immer und immer neue Steuern nötig zu machen.
    »Warum schließen wir uns nicht mit den Rittern zusammen?«, ließ sich ein graubärtiger Angelsachse vernehmen, der ohnehin nicht gut auf den französischstämmigen Löwenherz zu sprechen war. »Seit der Einführung der Turniere laufen ihnen nicht nur scharenweise die Söhne davon, um sich als Panzerreiter rekrutieren zu lassen. Das Startgeld verschlingt auch solche Unsummen, dass vielen von ihnen keine andere Wahl bleibt, als sich ebenfalls wieder als Söldner zu verdingen.« Viele Köpfe nickten zustimmend. »Nein!«, warf ein anderer Mann ein, dessen Kinnbart bei jedem Wort auf und ab wippte. »Das ist zu gefährlich. Sie haben dem König einen Treueeid geleistet. Und den werden sie nicht so ohne Weiteres brechen.« FitzOsbern erhob sich. So hatte es keinen Sinn! Es gab zu viele verschiedene Meinungen. »Die Bischöfe!«, ertönte eine helle Stimme vom hintersten Ende des Raumes. »Anstatt sie mit Reliquien zu versorgen, hat Richard alles verschachert und bittet auch sie unentwegt zur Kasse.« Das Läuten der Kirchenglocken nahm es FitzOsbern ab, die erhitzten Gemüter zur Ruhe zu bringen. »Jeder von uns überlegt sich bis zur nächsten Sitzung eine Möglichkeit, zur Lösung dieser Probleme«, schlug er vor. »Dann können wir abstimmen, was zu unternehmen ist.«

Die Normandie, der Palast in Rouen, Juli 1195
     
    »Dieses Warten macht mich wahnsinnig«, stöhnte Jeanne und fuhr sich mit der Hand durch die von einem dünnen Schleier bedeckten Haare. »Wann wohl endlich Antwort aus Rom eintrifft?« In ihren grasgrünen Augen spiegelten sich Ungeduld, Sehnsucht und Unwillen. Und obwohl sie das Temperament der Jüngeren schon des Öfteren gescholten hatte, konnte sich Berengaria von Navarra ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Aber er hat doch den Boten erst vor einer Woche losgeschickt«, wandte sie ein, trat zu der auf einer Bank sitzenden Amme, um ihr den schlafenden Säugling abzunehmen, und legte das Köpfchen des Kindes an ihre Brust. Nach der überstürzten Abreise von Beaufort hatte sie über sechs Monate in der Abgeschiedenheit von Fontevrault zugebracht, wo ihr die junge Großnichte der Königinmutter ans Herz gewachsen war. Nachdem Richard Löwenherz eine Nachricht seiner Mutter empfangen hatte, in der sie ihn von der Schwangerschaft seiner Gemahlin unterrichtete und versprach, Berengaria unverzüglich zu ihm zu bringen, hatte der jähzornige Löwenherz die Pläne zur Annullierung seiner Ehe widerwillig verworfen und gute Miene zum bösen Spiel gemacht. »Seit April sind wir nun schon hier«, beklagte sich Jeanne. »Und erst letzte Woche konnte Aliénor das Problem mit ihm besprechen.« Ihr zierlicher Körper war gespannt wie eine Feder. »Aber Kind«, warf Berengaria ein. »Er ist der König!« Sie schüttelte den Kopf und winkte Ralph de Beaufort zu, der gemeinsam mit einer Handvoll Ritter eine Nahkampfübung abhielt. Wie auch immer Aliénor von Aquitanien es angestellt hatte, dass Richard Löwenherz die Gegenwart ihres Liebhabers und Sohnes wortlos akzeptierte; sie war ihr ewig dankbar dafür. Ansonsten diente ihre Anwesenheit im königlichen Palast lediglich der Wahrung des Scheins, und weder erwartete man von ihr, das Lager erneut mit ihrem Gemahl zu teilen, noch auf die Liebesfreuden mit dem französischen Ritter zu verzichten. Die junge Frau an ihrer Seite, die ebenso wie sie selbst in einer Ehe gefangen war,

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