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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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nach einer knappen Verbeugung an Berengaria gewandt. »Ich soll Euch so bald als möglich zu ihr bringen!«

Teil 2: Juli 1195 – August 1196
 
Die Normandie, die Festung Vaudreuil, Juli 1195
     
    Wenn du wüsstest!, schoss es dem steif lächelnden Philipp von Frankreich durch den Kopf, als er seinem Widersacher, Richard Löwenherz, im Burghof der Festung Vaudreuil entgegentrat, um einen temporären Waffenstillstand mit dem Engländer zu verhandeln. Die dunklen Augen des Franzosen lagen mit einer Mischung aus Verachtung und Hohn auf der gegnerischen Delegation, während sein Kinn kaum wahrnehmbar zuckte. Der tiefblaue, mit goldenen Lilien durchwirkte Umhang um die schmalen Schultern des Franzosen flatterte leicht im Südwind, der – wie jedes Jahr – den Sand aus der Wüste bis nach Frankreich trug. Wie lächerlich!, dachte Philipp abschätzig, obgleich er sich am liebsten triumphierend die Hände gerieben hätte. Eigentlich sollte die am 23. Juli des vergangenen Jahres vereinbarte Waffenruhe bis November gelten. Doch weder Richard noch er selbst hatten sich dadurch davon abbringen lassen, Befestigungen und Städte der Normandie, die ihnen strategisch günstig erschienen, einzunehmen oder zu belagern. Während der kleinwüchsige französische König vorgab, mit seinem Erzfeind die Übergabe der exponierten Bastion von Vaudreuil zu besprechen, arbeiteten seine Mineure fieberhaft an der Untergrabung der Burgmauer, da Philipp auf keinen Fall plante, das Kastell in intaktem Zustand preiszugeben. Wenn alles nach Plan lief, würde das von seinen Männern gelegte Feuer nicht nur die Stützbalken der äußeren Verteidigungsmauern zerfressen, sondern auch auf Bergfried und Hauptgebäude übergreifen, sodass diese ebenfalls ein Raub der Flammen werden würden. Mit einem Seitenblick auf den neben ihm stehenden Arnauld de Touraine, der einen Groll ganz anderer Natur gegen Richard Löwenherz hegte, hob der Franzose die Hand, um auf die vor den Verhandlungspartnern ausgebreitete Karte zu deuten.
    Diese zeigte die sich täglich ändernden Besitzverhältnisse in der mittleren und östlichen Normandie, deren Einwohner sehnlich auf eine Einigung zwischen den beiden Monarchen hofften. Seit Beginn des Krieges hatte sich die ehemals fruchtbare Landschaft in eine verbrannte Wüste verwandelt, und sowohl Bauern als auch Stadtbewohner lebten in ständiger Furcht vor den Übergriffen der verfeindeten Parteien. Viele der freien Landarbeiter waren in den sichereren Westen abgewandert, was zur Folge hatte, dass dringend benötigte Arbeitskräfte fehlten und die Kosten für Brot und Getreide ins Unermessliche gestiegen waren. Nur noch die Tische der Wohlhabenden waren mit Fleisch oder Käse gedeckt, während der Großteil der ärmeren Bevölkerung Hunger litt, und die Anzahl der Gesetzlosen und Plünderer stetig zunahm. Der ehemals blühende Handel zwischen den Städten war nahezu zum Erliegen gekommen, was den beiden Königen den steigenden Groll der Händler und Landbesitzer zugezogen hatte, denen es inzwischen egal war, wer den Kampf um die umstrittenen Gebiete gewann. Wenn sich die Lage nicht bald stabilisierte, drohte die jetzt bereits katastrophale Hungersnot sich zu einer Geißel von zuvor nicht da gewesenen Ausmaßen auszuwachsen.
     
    ****
     
    »Ihr habt keine andere Wahl«, knurrte Löwenherz, der nur mühsam seinen Zorn im Zaum hielt. Der von einer schweren Kettenkapuze bedeckte Kopf des Engländers hatte bereits kurz nach Beginn der Verhandlungen die Farbe scharlachroter Zaunrüben angenommen, und die auf seiner breiten Stirn pulsierende Ader ließ deutlich erahnen, wie es um die Geduld des englischen Hünen bestellt war. Mit nur mühsam beherrschter Geste fuhr er sich mit der Linken durch den gestutzten Bart, während er den Blick der grauen Augen in sein Gegenüber bohrte. Was dachte sich dieser kleine Intrigant eigentlich?, grollte er stumm. Nachdem die sinnlose, im Zickzackkurs durch Frankreich führende Hasenjagd des Frühsommers 1194 im Juli des gleichen Jahres in einen Waffenstillstand gemündet war, kochte nach der relativen Untätigkeit der vergangenen Monate der Wunsch, den immer wieder wortbrüchig werdenden Wurm zu zertreten, beinahe in ihm über. Zwar hatte die Kampfpause ihm gestattet, seine durch die Kraftakte der Rückgewinnung der Touraine und Aquitaniens erschöpften finanziellen Mittel durch Reformen in England wieder aufzufrischen. Doch befanden sich sowohl das normannische Vexin als auch dessen

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