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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Linken folgte Wilhelm, der bereits aus dem Sattel geglitten war, mit offenem Mund dem wilden Treiben, das alle Augenpaare zu fesseln schien. Auf dem schlammigen Platz waren etwa dreißig Männer versammelt, die unter derben Flüchen und groben Schlägen versuchten, einen aus einer Schweinsblase gefertigten Ball in das gegnerische Tor zu befördern. Dieses bestand aus je zwei in den Boden gerammten Knüppeln. Kaum einer der zerlumpten Zuschauer ließ sich von der Ankunft der Damen und Ritter von dem Spektakel ablenken. Denn in eben diesem Augenblick stürzten sich die beiden Mannschaften mit wildem Kriegsgeheul auf den Ball, um diesen mit Füßen, Köpfen und Schultern in entgegengesetzte Richtungen zu bugsieren. Belustigt beobachtete Jeanne, wie ein wahrer Koloss von Mann bei dem Versuch, das begehrte Rund zu ergattern, mit einem schmächtigeren Spieler zusammenstieß, der unter dem Gewicht seines Angreifers zu Boden ging. Als ein weiteres Paar Kontrahenten keinen Steinwurf neben den Gestrauchelten ebenfalls mit einem dumpfen Laut aufeinanderprallte und sich im Schlamm wälzte, klatschte sie mit einem aufgekratzten Kichern in die Hände. Doch wenig später löste sich die Heiterkeit, die sie bei diesem unbeschwert wirkenden Toben und Tollen empfunden hatte, in Luft auf. Anstatt dem Gefallenen auf die Beine zu helfen, rappelte sich der heftig aus der Nase blutende Riese auf und trat seinem Gegner mit solcher Wucht in die Rippen, dass dieser zusammengekrümmt in dem halbgefrorenen Matsch liegen blieb. Der Schmerzenslaut, der sich dem so Misshandelten entrang, ging im Jubel der Zuschauer unter, da in diesem Moment der Ball vom Pfosten der einen Mannschaft abprallte und hinter die Absperrung kullerte, wo er den Blicken der Spieler entschwand. Während einige eifrige Knaben sich zwischen den Beinen der Erwachsenen durchdrängten, um die Blase zurück auf den Platz zu schleudern, wurden die anderen Spieler der Auseinandersetzung in der Mitte des Feldes gewahr. Mit der Geschwindigkeit eines hereinbrechenden Gewittersturms verwandelte sich das zwar raue, aber bisher friedliche Treiben in eine Schlägerei von solcher Brutalität, dass Jeanne entsetzt den Blick abwandte.
    »Um Himmels willen, unternehmt etwas«, drängte Berengaria ihre bewaffneten Begleiter, als ein junger Bursche mit eingeschlagenem Schädel zu Boden sank. Aber der Anführer der Ritter schüttelte lediglich bedauernd den Kopf und zuckte die Achseln. Inzwischen hatten sich auch die Umstehenden in die Handgreiflichkeiten eingemischt, und das Gebrüll und Wehgeschrei der Bauern jagte Jeanne einen kalten Schauer über den Rücken. Nur mit Mühe kämpfte sie gegen den Drang an, ohne Rücksicht auf die anderen Mitglieder ihrer Gesellschaft die Flucht zu ergreifen und so viel Abstand wie nur irgend möglich zwischen sich und die inzwischen zur Mordlust angestachelte Meute zu bringen. Warum nur musste es immer zu Gewalttätigkeiten kommen, wenn Männer aufeinandertrafen?, fragte sie sich bitter. Wie konnte es sein, dass selbst ein heiterer Zeitvertreib wie dieses harmlose Ballspiel das Potential zu einem Kampf auf Leben und Tod barg? »Lasst uns zurückreiten«, schlug einer der Ritter, der das Durcheinander gleichgültig verfolgte, vor. Ohne eine Antwort der englischen Königin abzuwarten, wendete er seinen Hengst und galoppierte den Abhang hinauf. Jeanne folgte Berengaria von Navarra, die ebenfalls angetrabt war, und warf Catherine einen unbehaglichen Blick zu. Was als Ablenkung von ihren Sorgen gedacht gewesen war, hatte sich in Windeseile in eine Mahnung verwandelt. Denn die Gewalt und der Blutrausch führten den Frauen mit ungeschönter Deutlichkeit vor Augen, was geschehen konnte, wenn zwei feindliche Parteien aufeinandertrafen.
    Mit einem unterdrückten Seufzer schloss Jeanne einen Moment die Augen und versuchte, die Sorgen zu unterdrücken, die sie seit Tagen quälten. Seit dem Eintreffen der Nachricht, dass die Engländer unter Richard Löwenherz in der Festung von Issoudun eingeschlossen waren, jagten Nacht für Nacht die schrecklichsten Bilder durch ihre Alpträume. Erst in der vergangenen Nacht war sie schweißgebadet aus dem unruhigen Schlaf aufgefahren, als das Schreckgespenst eines erschlagenen Rolands sie verfolgt hatte. Sollte sie ihn jemals wieder unversehrt zu Gesicht bekommen – das hatte sie sich geschworen – würde sie ihre Furcht vor einer Werbung und deren eventuellen Folgen begraben und seinen schüchternen Annäherungsversuchen

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