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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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nachgeben! Denn es war ihr keineswegs entgangen, dass auch er ein Interesse für sie hegte, das weit über die Regeln des guten Anstands hinausging. Während der gefrorene Boden unter den Hufen ihres Fuchses dahinflog, rief sie sich den Blick in Erinnerung, mit dem er sie bei seinem Aufbruch von Rouen vor etwas mehr als zwei Monaten bedacht hatte. Voller Sehnsucht hatten seine blaugrauen Augen sich in die ihren gebohrt, bevor er beschämt den Blick niedergeschlagen hatte und leicht errötet war. Ein wohlbekannter Stich fuhr ihr in die Glieder, als sie versuchte, sich vorzustellen, wie er sich anfühlen mochte. Wie es wohl sein würde, jeden Zoll seines Körpers zu erkunden? Trotz der Kälte fühlte sie sich auf einmal erhitzt. Bevor sie den Gedanken jedoch weiterspinnen konnte, tauchte die Gruppe in den Wald ein und all ihre Aufmerksamkeit wurde von dem tückischen Boden in Anspruch genommen.

Frankreich, Issoudun im Berry, 9. Dezember 1195
     
    Voller Ingrimm blickte der aschfahle Philipp von Frankreich auf die Nachricht in seiner Hand, deren sorgsam geschwungene Buchstaben vor seinen Augen zu verschwimmen drohten. Die Männer, die ihm die Kapitulationsbedingungen des englischen Königs überbracht hatten, betrachteten ihn mit einem hämischen Ausdruck. Wenngleich der überrumpelte Franzose die unverschämten Burschen am liebsten mit der blanken Klinge auf die Knie gezwungen hätte, blieb ihm in Anbetracht der Lage, in der er sich befand, nichts weiter übrig, als alle Selbstbeherrschung aufzubringen und den Abgesandten die geforderte Antwort zu geben. Es war absehbar gewesen. Aber dennoch trafen ihn die Schmach und die Schande dieser erneuten Niederlage gegen seinen gerissenen Widersacher mit solcher Härte, dass er sie beinahe körperlich empfand. Mit mahlenden Kiefermuskeln hob er die mit feinem Blattgold überzogene Feder auf, tauchte sie in die Tinte und presste den Handballen auf das Pergament, um ein Zittern zu unterdrücken. Während ihn seine erschöpften Generäle mit nur mühsam verborgenem Unwillen beobachteten, setzte er seine Unterschrift unter das von Richard Löwenherz aufgesetzte Schreiben, das der Anführer der englischen Gesandtschaft ihm daraufhin augenblicklich unter den Händen wegzog, um es in einer fließenden Bewegung zusammenzurollen und zu versiegeln.
    »Denkt daran, dass sich Eure Truppen bis zum Sonnenuntergang auf dem Heimweg befinden sollten«, versetzte William Marshal, der Earl of Pembroke, mit einem zynischen Lächeln. Das Netzwerk aus tiefen Falten um seine braunen Augen hatte sich in den vergangenen Monaten ausgeweitet, sodass es sich inzwischen mit den Furchen um den energischen Mund vereinigte. Das Grau in dem dichten, sorgfältig gestutzten Bart hatte das ehemals satte Schwarz bis auf einige dünne Strähnen vollkommen verdrängt, und der Schädel des achtundvierzigjährigen Haudegens war mittlerweile vollkommen kahl. »Bis zu den Friedensverhandlungen in Louviers herrscht absolute Waffenruhe.« Den drohenden Unterton des englischen Adeligen ignorierend, rammte Philipp von Frankreich die Rechte zurück in den Kettenhandschuh, stülpte den Helm auf den Kopf und machte auf dem Absatz kehrt, um in sein Zelt zurückzustolzieren. Wütend pfefferte er seinen Umhang auf einen der mit Fuchsfellen ausgelegten Stühle, ließ sich in einen weiteren sinken und gab Arnauld de Touraine mit einem ungeduldigen Schnauben zu verstehen, dass er es ihm nachtun sollte. Während auf dem Gesicht des französischen Königs Zorn und Selbsthass Widerstreit hielten, verriet das ungepflegte Gesicht seines Generals lediglich Enttäuschung.
    »Wer hätte denn ahnen können, dass er so gerissen ist«, warf der ehemalige Graf der Touraine nach einigen lastenden Augenblicken der Stille in den Raum. Dann griff er mechanisch nach einem halb vollen Kelch mit Wein und tat einen tiefen Zug. Auch er hätte sich noch vor etwas mehr als anderthalb Wochen nicht träumen lassen, dass der scheinbar wie eine einfältige Maus in der belagerten Festung von Issoudun in die Falle gegangene Richard Löwenherz von Anfang an geplant hatte, den Spieß umzudrehen. Umso entsetzter war er gewesen, als vor zwei Tagen eine so gewaltige Armee im Rücken der französischen Belagerer aufgetaucht war, dass jeglicher Widerstand erstickt worden war wie eine ersterbende Flamme. »Es sah aus, als hätten wir ihn endlich überlistet!« Mit einem erbosten Laut sprang Philipp auf die Beine und fuhr sich mit den Händen durch den dunklen

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