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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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letzten Hochziehen der Nase steckte Jeanne das seidene Tüchlein zurück in den Ärmel, raffte den langen Rockteil ihres Bliauds und schlang den warmen Mantel enger um die Schultern. Während sie noch mit einer Hand an der Schnürung ihrer pelzverbrämten Kapuze nestelte, rutschte sie auf dem knarrenden Sattel hin und her und grub ihrem Fuchs die Fersen in die Flanken. Etwa zwanzig Fuß vor ihr trabten Berengaria von Navarra, Catherine of Leicester und ein halbes Dutzend weiterer Damen durch den in der Nacht gefallenen Schnee, der knirschend unter den Hufen der Reittiere nachgab. Außer dem elfjährigen Wilhelm von Braunschweig und einem der zahllosen Troubadour e, welche den Hof der Herzogin von Aquitanien in Poitiers bevölkerten, begleitete eine Handvoll Ritter die Frauen und flankierte sie mit steinernen Mienen. Als der Blick der jungen Frau auf den schräg neben ihr reitenden Anführer des Trupps fiel, fragte sie sich, was hinter den dichten, schwarzen Brauen des Mannes wohl vor sich ging. Denn obwohl die Krieger mit keinem Wort verrieten, wie sehr sie diese Ausritte verabscheuten, war sich Jeanne sicher, dass sie es als Erniedrigung empfanden, als Ammen für die Hofdamen der alten Königinmutter fungieren zu müssen. Anstatt wie ihre Kameraden an der Front gegen Philipp von Frankreich zu kämpfen. Mit einem kaum merklichen Schulterzucken schüttelte sie die schuldbewussten Gedanken ab und schloss zu den anderen Damen auf, um den ersten Ausritt seit Langem aus vollen Zügen zu genießen.
    Vor ihnen erstreckte sich ein malerisches Waldtal, zwischen dessen dunkle Hügel sich eine uralte Benediktinerabtei schmiegte, aus deren Kaminen sich dünne Rauchfahnen in den wolkenlos blauen Himmel kräuselten. Die kahlen Äste der Laubbäume schmückte ein Kleid aus klirrendem Frost. Und auch die stolzen Kronen der Kiefern und Fichten wirkten, wie mit einer Schicht aus spitzen Kristallen überzogen. Aus der Ferne konnte man die dunklen Kutten der Mönche ausmachen, die sich im Gänsemarsch über den Klosterhof auf die Tore einer Kirche zuwanden, in deren Innerem sie kurz darauf verschwanden. Hoch über den Köpfen der kleinen Abordnung zogen zwei majestätische Mäusebussarde ihre Kreise, während am Waldrand einige Rehe geduldig das tote Gras des Sommers durch die Schneedecke zupften. »Lasst uns dort hinunterreiten«, schlug Berengaria vor. Sie wies mit einer blutrot behandschuhten Hand in Richtung Südosten. »Dann können wir am Ende des Tals den Kreis schließen und zurück zur Burg reiten.« Ehe die Damen etwas auf diesen Vorschlag erwidern konnten, meldete sich Wilhelm von Braunschweig zu Wort. Das Blondhaar stand wirr von seinem Kopf ab, da er schon kurz nach dem Aufbruch aus Poitiers mit einem verächtlichen Schnauben die warme Kappe in die Satteltasche verbannt hatte. Auf dem ansonsten so ernsten Gesicht des jungen Prinzen lag eine Mischung aus Eifer und Hoffnung, als er in die entgegengesetzte Richtung fuchtelte, wo sich auf dem Dorfplatz eines kleinen Fleckens ein Knäuel Männer tummelte. »Bitte, Mylady, können wir nicht erst dort haltmachen?«
    Während die Brauen ihrer gepanzerten Begleiter bei diesem Vorschlag missfällig in die Höhe schossen, verkniff sich die englische Königin nur mit Mühe ein Schmunzeln und legte gespielt abwägend den Kopf auf die Seite. »Einen kleinen Umweg könnten wir uns erlauben«, gab sie nach einigen Augenblicken des Schweigens zurück, in denen der Knabe gebannt an ihren Lippen hing. »Wir wären dann immer noch rechtzeitig zur Vesper zurück.« »Aber Mylady«, protestierte einer der Ritter. Doch bevor er einwenden konnte, dass die Rückkehr vor der Dämmerung erfolgen sollte, winkte die dunkelhaarige Schönheit ab und trieb mit einem energischen Zungenschnalzen ihren Zelter an. Glücklich strahlend grub der junge Prinz ebenfalls die Sporen in die Seiten seines Rosses und duckte sich über die Mähne des Tieres. Dann stob er allen voran den flach abfallenden Hügel hinab auf das Dorf zu, wo in diesem Augenblick ein Ball in die Höhe geschossen wurde. Lachend folgte Jeanne dem Beispiel des Prinzen, klatschte die dünne Gerte auf die Hinterhand von Catherine of Leicesters Stute und ritt Seite an Seite mit der Freundin auf die windschiefen Katen zu, in deren Mitte sich ein hässlicher Kirchturm erhob.
    Ein kehliger Schrei aus der Mitte der Versammlung ließ die beiden jungen Frauen kurz hinter der hölzernen Absperrung, die den Dorfplatz umgab, die Pferde zügeln. Zu ihrer

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