Im Reich der Löwin
sich eilig auf den Weg nach Poitiers gemacht, um sich den Damen anzuschließen. »Ja«, erwiderte sie lächelnd und beugte sich vor, um der Freundin das Bein zu tätscheln. »Und glaube mir, auch du wirst sie erkennen, wenn sie dir begegnet.« Jeanne errötete heftig, was Catherine ein neugieriges Stirnrunzeln entlockte. »Du hast sie bereits gefunden?«, fragte sie. Die Antwort darauf war deutlich im Gesicht der Jüngeren zu lesen. »Also, wie heißt er?«, wiederholte Catherine, legte der Freundin die Hand auf den Arm und blickte sie forschend an. Roland, dachte Jeanne und spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Lange Zeit hatte sie versucht, dagegen anzukämpfen, aber der Gedanke an ihn hatte sie nicht mehr losgelassen. Mehr als einmal hatte sie sich bei Tagträumen ertappt, die sie an ihrem Verstand zweifeln ließen. Hatte sie sich nicht hoch und heilig geschworen, nie wieder einen Mann in ihre Nähe zu lassen? Sie lächelte traurig. Wenn er wenigstens in ihrer Nähe wäre! Ihre Hände nestelten nervös an der Stickarbeit in ihrem Schoß, während sie sich fragte, ob sie Catherine ihren Kummer anvertrauen sollte. »Spann mich nicht so auf die Folter«, scherzte diese und lächelte Jeanne ermunternd an. »Dein Geheimnis ist bei mir sicher«, versprach sie mit einem Augenzwinkern. Schließlich biss Jeanne sich mit einem tiefen Seufzer auf die Unterlippe, beugte sich näher zu der Freundin und wisperte: »Es ist der Knappe des Königs.«
London, ein Stadthaus, November 1195
Messerscharf, wie von der Klinge eines Schwertes zurückgeworfen, durchschnitt ein einzelner Sonnenstrahl die nur von einem dreiarmigen Kerzenleuchter erhellte Düsternis in der winzigen Kammer im ersten Stock des Londoner Stadtpalastes des Bischofs von Salisbury. Im flackernden Schein der Flammen wirkte der über einen wild durcheinandergeworfenen Berg von Pergamentrollen gebeugte Rücken des untersetzten jungen Mannes wie der eines Buckligen. Doch als er mit einem Gähnen ein paar dunkle Strähnen aus der Stirn schob und sich mit einem Rollen der schmerzenden Schultern erhob, um an das Fenster zu treten, spannte sich das dunkelgrüne Surkot und der Eindruck des Alters fiel von ihm ab wie eine Maske. Mit gerunzelten Brauen starrte Guillaume of Huntingdon auf den Hof des bischöflichen Sitzes hinab, wo soeben eine Handvoll Knechte ein riesiges Butterfass in Richtung Küchengebäude rollte. Der mit einer zerfetzten Leinwand überspannte Karren, von dem sie den Behälter gehievt hatten, war erst halb entladen. Und ein Großteil der wöchentlichen Pökelfleisch-, Wein- und Bierlieferung harrte noch darauf, seinen Abdruck auf dem aufgeweichten Boden zu hinterlassen. Breit lief die Spur von der hinteren Achse des Karrens durch einige tiefe Pfützen zur Küche, wo eine dralle Dienstmagd die Männer empfing und mit knappen Gesten in den Raum winkte.
Mit einem zynischen Lächeln auf den Lippen beobachtete Guillaume, wie die junge Frau die Hände in die ausladenden Hüften stemmte, während sie den Knechten Anweisung gab, wo sie die Lieferung abstellen sollten. Ihr herzförmiges Gesicht wurde umrahmt von einer kleinen Haube, unter der sich pechschwarze Locken hervorkräuselten. Er wusste noch nicht einmal ihren Namen, fuhr es ihm durch den Kopf, als er sie in Gedanken entkleidete und sich ihren zwar üppigen, aber prallen Körper in Erinnerung rief. Seit beinahe vier Wochen war er jetzt bereits Gast im Hause des Bischofs, der – ebenso wie viele seiner Amtskollegen – nach einer Möglichkeit suchte, die andauernden Geldforderungen des englischen Königs zu umgehen. Deshalb hatte er dem Angebot Guillaumes mit regem Interesse gelauscht. »Was Ihr mit FitzOsbern ausheckt, das interessiert mich nicht«, hatte er heuchlerisch bekundet. »Aber sollte es Euch gelingen, ein Schlupfloch in unserem Gesetzeswerk ausfindig zu machen, dann könnt Ihr mit einer fürstlichen Belohnung rechnen.« Als Guillaume sich daraufhin vor dem graubärtigen Kirchenmann verneigt hatte, hatte dieser mit einem Schmunzeln auf den faltigen Zügen hinzugefügt: »Sicherlich schadet es nicht, wenn Löwenherz bewusst wird, dass sein Volk alles andere als glücklich ist über die Zustände in England.« Mit dieser Einschätzung hatte er Guillaume mehr oder weniger zu verstehen gegeben, dass die Kleriker des Landes ihm und Lackland keine Steine in den Weg werfen würden.
Er brummte zufrieden. Nachdem er mit einem letzten Blick auf die Magd beschlossen hatte, sie auch an
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