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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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diesem Abend in seine Kammer zu befehlen, wandte er sich zurück zu der undankbaren Arbeit, unter der sich die polierte Kirschholzplatte des ausladenden Tisches bog. Hin und her gerissen zwischen Eifer und Resignation – da es ihm bisher noch nicht gelungen war, einen Gesetzestext zu finden, der zugunsten der Kirchenmänner ausgelegt werden konnte – ließ er sich ein weiteres Mal in den Lehnstuhl sinken. Seufzend griff er nach der nächsten Rolle. Die tanzenden Kerzenflammen malten groteske Schatten auf seine weichen Züge. Obwohl das rundliche Kinn und die vollen Lippen ihm ein beinahe kindliches Aussehen verliehen, sorgten die durch das Spiel des Lichts hervorgehobenen Falten um seine Nase dafür, dass der knabenhafte Charme einer beinahe diabolischen Larve wich. Er blinzelte und fuhr mit dem Zeigefinger die dicht beschriebenen Zeilen entlang. Auch wenn er nur zum Schein in die Aufgabe eingewilligt hatte, um neben einem sicheren Unterschlupf den Schutz eines reichen Patrons zu genießen, begann das Studium der Texte ihn allmählich zu fesseln. Ein kleines Häufchen an Schriftstücken zu seiner Linken ließ ihn hoffen, dass er im Namen des zukünftigen Herrschers über die Insel – John Lackland – erwarten konnte, Harolds Güter zu konfiszieren und sich endlich zu seinem Geburtsrecht zu verhelfen. Was er in diesem Falle mit Alan dem Steward und FitzGerald, dem Vertrauten seines Halbbruders, anfangen würde, jagte ihm ein Zittern der Vorfreude durch die Glieder. Mühsam zwang er sich, diese Gedanken zurückzustellen und griff zum ungezählten Mal wahllos in den Stapel staubiger Dokumente. Trotz der Müdigkeit seiner Augen bemühte er sich, die unleserliche Handschrift so genau wie möglich zu entziffern. Er wollte das etwa achtzig Jahre alte Schriftstück gerade wieder von sich schieben, als sein Blick auf einen Passus fiel, der ihn mit einem Schlag hellwach werden ließ:
     
    »Um die Eigenständigkeit des englischen Klerus zu gewährleisten, erklären hiermit beide Parteien, dass von der Kirche geleisteter Beistand auf dem Festland rein freiwilliger Natur sein soll. Weder ist er vom Monarchen einzuklagen, noch darf dieser mit Repressalien drohen, sollte ihm der Beistand verweigert werden.«
     
    Unterzeichnet war diese Erklärung von Papst Paschalis II. und Henry I. von England, deren schwungvolle Signaturen sich in der Mitte des vergilbten Schriftstückes berührten. Mit einem selbstgefälligen Ausdruck auf dem Gesicht schob Guillaume die Lektüre von sich und erhob sich erneut, um eine der heruntergebrannten Kerzen durch eine neue zu ersetzen. Na also!, frohlockte er innerlich. Diese Entdeckung gab ihm genug Freiraum, um die Aktivitäten FitzOsberns im Auge zu behalten und sich um den reibungslosen Ablauf des geplanten Aufstandes in der übervölkerten Hauptstadt des Landes zu kümmern, während er vorgab, die Interessen der Bischöfe zu verfolgen. Niemand durfte von dem Dokument erfahren! Denn wenn er vorschnell handelte und Herbert Poore, dem Bischof von Salisbury, schon jetzt anvertraute, auf was für ein Kleinod er gestoßen war, dann bestand für den mächtigen Kirchenmann keinerlei Veranlassung mehr, seine schützende Hand über Guillaume zu halten. Wenn er das Pergament hingegen gut genug verbarg und weiterhin vorgab, die Gesetzestexte nach einem Ausweg für den Klerus zu durchforsten, dann würde die kleine Schriftrolle, die er mit einer geschickten Bewegung unter seine Cotte schob, ihm noch gute Dienste leisten. Leise vor sich hin summend zog er den Gürtel, den er gelockert hatte, um besser atmen zu können, fester um sein Surkot. Dann hob er den dunklen Umhang von der Lehne eines unbequem wirkenden Stuhls an der Ostwand des Gemaches und drückte die Klinke, um sich ein wenig Bewegung im Freien zu verschaffen. Der eigentliche Zweck dieses Spaziergangs bestand darin, die feurige Schönheit in der Küche wissen zu lassen, dass er sie nach Einbruch der Dämmerung erwartete. Obwohl es sich um das Haus eines Geistlichen handelte, schien sich nicht einmal der Hausherr selbst um die Einhaltung der Gebote der Kirche zu scheren. Denn auch sein Lager wurde regelmäßig von einer Dame geteilt, die – soweit Guillaume wusste – mit einem uralten Adeligen verehelicht war. Wer sollte sich da um die harmlosen Liebesabenteuer eines Junkers kümmern?, dachte er belustigt, bevor er in den nasskalten Nachmittag hinaustrat.

Frankreich, der Hof in Poitiers, Anfang Dezember 1195
     
    »Wartet auf mich!« Mit einem

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