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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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William FitzOsberns Stimme bebte kaum merklich, als er die lange Schlange aus Männern und Frauen anwies, die von ihnen zusammengetragenen Langbögen, Streitkolben, Morgensterne und Dolche auf einen bereits übermannshohen Haufen in dem Kellergewölbe im Herzen der Hauptstadt zu legen. Neben diesen hochwertigeren Waffen befanden sich bereits Dreschflegel, Knüppel, Sensen und die gefährlichen Peitschen der Fuhrleute in dem improvisierten Arsenal. Und einigen der höhergestellten Bürger war es sogar gelungen, Schwerter zu beschaffen. Einzig Armbrüste fehlten in dem Magazin, da die Kirche deren Verbreitung besonders streng überwachte. Im Schein der Fackeln funkelten selbst die am stärksten verrosteten Waffen Unheil verkündend. Als Guillaume of Huntingdon, der mit einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze am anderen Ende des Raumes stand, den Blick über die grimmigen Mienen der Versammelten gleiten ließ, breitete sich leises Unbehagen in ihm aus. Diese Menschen schienen zu allem entschlossen! Während es bei seinem letzten Besuch in der zwielichtigen Taverne im September nur knapp 5 000 Aufrührer gewesen waren, war die Zahl der gewaltbereiten Londoner inzwischen – laut FitzOsberns Bericht – auf über das Zehnfache angewachsen. Immer erdrückender wurde die Steuerlast, die von den Adeligen ohne Umweg auf die Schultern der Bürger und Händler abgewälzt wurde. Während die Bauern, deren Ernte auch in diesem Jahr von den Eintreibern der Krone zu einem Großteil beschlagnahmt worden war, ihr Schicksal still ertrugen, waren die Bewohner der geschäftigen Metropole weitaus weniger gottergeben.
    Dank der stillschweigenden Zustimmung der Bischöfe, die sich von dem Aufstand eine Schmälerung der Machtfülle Hubert Walters erhofften, war es Guillaume gelungen, Kanäle zu öffnen, ohne die das Unterfangen in diesen Ausmaßen undenkbar geblieben wäre. So hatte er dank der Unterstützung Herbert Poores, des Bischofs von Salisbury Geldmittel zur Verfügung, durch die eine straffe Organisation des geplanten Aufstandes erleichtert wurde. Damit konnten die Wachen der Stadttore bestochen werden, in die andere Richtung zu blicken, wenn wiederholt Karrenladungen an Holz und Eisen zollfrei in die Stadt geschafft wurden. Auch die Spione der Steuerbehörden wurden erstaunlich blind und taub, wenn Silberstücke im Wert eines halben Jahreseinkommens den Besitzer wechselten. Bis jetzt war das Glück auf John Lacklands Seite, dachte Guillaume zufrieden, während er mit einem letzten Blick auf den unermüdlichen FitzOsbern das Gewölbe verließ. Vielleicht würde es gar nicht nötig sein, ihn zu opfern. Wenn die Bischöfe dem Prinzen weiterhin mit ihrer unausgesprochenen Unterstützung unter die Arme griffen, dann würde sich die Angelegenheit wie von selbst erledigen. Hubert Walter würde zu einer bloßen Strohpuppe degradiert oder – sollte er sich allzu vehement querstellen – im Tower verschwinden, wo er von aller Welt vergessen schließlich verrotten würde!
    Mit einem kalten Lächeln duckte sich der junge Mann durch die windschiefe Eingangstür und eilte in die einbrechende Dämmerung davon. Wenn es doch nur schon so weit wäre! Wie ein alles auffressendes Fieber versengte ihn der Hass auf seinen älteren Bruder, dessen Besitz sich von Tag zu Tag mehr zu einer Art Baum des Tantalos entwickelte. Je mehr er sich danach reckte, desto unerreichbarer schienen die Früchte seines Erbgutes zu werden. Es war wie verteufelt! Auch wenn er inzwischen das gesamte Korpus an Gesetzestexten gesichtet hatte, war es ihm – entgegen der zuerst aufgeflammten Hoffnung – bisher nicht gelungen, eine eindeutig zu seinen Gunsten auszulegende Klausel zu finden. Diese musste festlegen, dass der Besitz des Vaters auf denjenigen seiner Söhne überzugehen hatte, dessen Mutter zum Zeitpunkt seines Todes noch lebte. Mit einer unwilligen Geste wischte er den Ärger aus der Luft und hastete weiter in Richtung Westen, wo sich zwischen den ärmlichen Katen der Färber und Gerber das Viertel mit den Freudenhäusern befand. Irgendwie musste er der Spannung in seinem Körper Erleichterung verschaffen! Obschon sich in den dunklen Gässchen zwischen den schäbigen Häusern allerhand Gesindel herumtrieb, steuerte Guillaume – die Hand am Schwertknauf – unbeirrt auf ein hell erleuchtetes Steinhaus zu, das in seiner Pracht und Sauberkeit merkwürdig fehl am Platz wirkte. Hinter bunt verglasten Scheiben tanzte heiterer Fackelschein. Nachdem er den schweren

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