Im Reich der Löwin
einige Stunden an dem munter prasselnden Feuer im Kamin des Refektorium s gewärmt hätte, drängte ihn doch jede Faser seines Körpers dazu, die Entfernung zwischen sich und Catherine weiter zu verkleinern. Wie sehr er sich danach sehnte, sie endlich wieder in den Armen zu halten! Sie zwischen die Laken zu ziehen und die Nacht zum Tage zu machen! Das Prickeln, das seine Kopfhaut überzog, ließ ihn den Umhang noch enger um die Schultern ziehen. Nur mit Mühe gelang es ihm, die weiteren Bilder, die beim Gedanken an seine schöne Gemahlin in ihm aufstiegen, zu verdrängen und sich in den Sattel zu ziehen. Wo er sich einen Lüstling schalt und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht bemühte, eine Sitzposition zu finden, die ihn den geistigen Ausflug nach Poitiers nicht ganz so deutlich bereuen ließ.
Während er mit einem letzten Blick auf die friedlich daliegende Abtei seiner Stute die Sporen gab, stahl sich ein schalkhaftes Schmunzeln auf sein Gesicht. Wie es Robin wohl ergehen mochte? Kurz nach Unterzeichnung der Kapitulationsbedingungen durch Philipp von Frankreich hatte der Freund von Richard Löwenherz die Erlaubnis eingeholt, einige Wochen in England bei seiner Gemahlin zu verbringen, die er trotz all der Ausschweifungen mit den Lagerhuren innig liebte. Manchmal hatte Harold das Gefühl, dass Robin sich davor scheute, Marian als eine Frau aus Fleisch und Blut zu betrachten, da er sie mit einer Verehrung anbetete, die Harold selbst für ungesund erachtete. Doch jedes Mal, wenn er das Thema zur Sprache gebracht hatte, hatte der Freund ihm grob das Wort abgeschnitten und seine amourösen Abenteuer ins Lächerliche gezogen. Er hoffte, dass Marian das Problem erkannte und ihrem Gemahl helfen würde, die Unsicherheit abzulegen, die er in ihrer Gegenwart zu empfinden schien. Denn ansonsten würde den von den Barden als ideales Liebespaar Besungenen kein glückliches Ende beschieden sein. Harold seufzte und duckte sich, um einem Ast auszuweichen, der weit in die nur schwer erkennbare Straße hing. Wie ironisch es war, dass die als Robin Hood und Lady Marian in die Dichtung eingegangenen Liebenden sich scheinbar selbst im Weg standen! Ein pfeilschnell vor ihm aus dem Himmel stürzender Falke ließ ihn die Sorgen um das Liebesglück anderer vergessen und den Blick auf die wie verzaubert daliegende Landschaft um ihn herum richten.
Sie hatten bereits mehr als den halben Weg nach Poitiers zurückgelegt, und vor ihnen erstreckten sich die im Sommer fruchtbaren Senken und Täler des Herzogtums, in denen sich bei dieser unwirtlichen Witterung allerdings lediglich ein paar frierende Ponys und Schafe drängten. Im Süden erhob sich eine Bergkette, von deren Gipfeln sich immer wieder Schneebretter lösten, die in donnernden Lawinen zu Tal gingen. Das Geräusch der Pferdehufe wirkte gedämpft und hätte Harold die gewaltige Streitmacht nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte er Berichte über ihre Größe für übertrieben gehalten. Nachdem sich die französischen Truppen wie vereinbart in ihre Heimatorte zurückgezogen hatten, waren auch einige Engländer diesem Beispiel gefolgt. Doch der Großteil des englischen Heeres befand sich mit dem König auf dem Weg an den Hof seiner Mutter. Von dort aus würden sich viele der Ritter und Earls an die Küste begeben, um sich nach England einzuschiffen. Aber ein beträchtlicher Teil würde – wie Harold selbst – dem König über die Weihnachtsfeiertage Gesellschaft leisten. Wenn nicht aus Treue, dann aus reiner Neugier, wie John Lackland auf die Neuigkeiten reagieren würde, die Richard Löwenherz ihm und Aliénor von Aquitanien an Heilig Abend zu unterbreiten gedachte. Viele unterschiedliche Stimmen hatten das undiplomatische Vorhaben des Königs im Rat in Issoudun von allen Seiten beleuchtet. Allerdings hatte Löwenherz – wie immer – seinen Willen durchgesetzt, und die von ihm vorgeschlagenen Veränderungen waren schließlich nach mehreren Stunden hitzigen Debattierens von allen Anwesenden abgesegnet worden. Man würde sehen, dachte Harold mit einer Mischung aus Schadenfreude und Sorge. Die Reaktion des Prinzen würde auf alle Fälle genug Diskussionsstoff liefern und dafür sorgen, dass in den Wochen des Nichtstuns keine Langeweile aufkommen konnte. Da sich das Tempo der vor ihm Reitenden langsam verschärfte, drückte er seiner Stute die Fersen in die Flanken, um zu seinen Vordermännern aufzuschließen.
London, ein Kellergewölbe, 14. Dezember 1195
»Werft alles hierher!«
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