Im Reich der Löwin
folgte? Seine Handflächen schwitzten, und er wischte sie fahrig an seinen Beinlingen ab. Was, im Namen aller Heiligen, sollte er tun? Er stöhnte innerlich und verwünschte seine Unsicherheit. In der Zwischenzeit hatte Jeanne die Laube erreicht und sich im Schutz der Blätter auf einer Bank niedergelassen. Inmitten des verschneiten Gartens wirkte sie verloren und zerbrechlich – wie eine Blume in einer Wüste aus Eis. Bevor Roland vor seinen geheimsten Wünschen Reißaus nehmen konnte, schluckte er die Zweifel, holte einige Male tief Luft und rang die Bangigkeit nieder, die drohte, ihn an der Stelle festzunageln. Er löste den Verschluss seines Umhangs und näherte sich dem Unterstand. Wenngleich ihm die Geste in Anbetracht ihres pelzbesetzten Mantels aus grünem Tuch albern vorkam, machte er eine artige kleine Verbeugung und sagte heiser: »Ihr werdet Euch erkälten, wenn Ihr nicht achtgebt.« Damit trat er näher und legte ihr galant den eigenen Umhang um die Schultern. Zuerst wirkte es, als wolle sie ihn für seine Forschheit tadeln. Doch dann verzog sie den Mund zu einem schüchternen Lächeln und ließ ihn gewähren. »Danke«, murmelte sie und starrte auf seine Stiefel. Einzelne, verirrte Schneeflocken glitzerten in ihrem Haar, das sich unter einer kleinen Haube hervorkräuselte. Sein Kopf schien wie leer gefegt, als er einige peinliche Augenblicke einfach nur vor ihr stand und auf sie hinabstarrte. Mit keiner Regung gab sie ihm zu verstehen, ob ihr seine Gegenwart unangenehm war oder nicht. Da er nicht wusste, was als Nächstes von ihm erwartet wurde, ließ er sich schließlich mit etwas Abstand neben ihr nieder und räusperte sich verlegen. »Mein Name ist Roland Plantagenet«, murmelte er – nicht sicher, ob es das war, was man in einer solchen Situation zu einer Dame sagte. Musste er ihr nicht eher ein wortgewandtes Kompliment machen? Erwartete sie, dass er ihre Schönheit pries? Und wenn ja, wie machte man so etwas? Sicherlich nicht mit den Worten, die ihm auf der Zunge brannten! Er hätte sich am liebsten geohrfeigt, weil er – anders als sein Bruder Henry – nie aufgepasst hatte, wie die Troubadoure die Damen besangen. Nach einer Weile hob sie den Kopf, um ihn anzublicken. »Ich weiß«, gab sie leise zurück und fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Was er in ihren leuchtend grünen Augen las, ließ sein Herz einen Schlag aussetzen.
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Als sie es endlich wagte, ihn anzusehen, verschlang Jeanne die Hände ineinander, um sich nicht durch deren Zittern zu verraten. Auch wenn die Kälte des Winters schon längst die Schichten ihrer Kleidung durchdrungen hatte, waren es weder Eis noch Schnee, die sie am ganzen Körper beben ließen. Deutlich stand all das in sein Gesicht geschrieben, was sie schmerzlich gehofft und gleichzeitig gefürchtet hatte. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch verwandelten sich in einen Schwarm Hummeln, und ein Wechselbad aus heißen und kalten Schauern sorgte dafür, dass sie gleichzeitig fror und schwitzte. Niemals hatte sie zu hoffen gewagt, dass er ihre Gefühle teilte, dass er sich genauso von ihr angezogen fühlte wie sie von ihm. Sie öffnete den Mund, um etwas hinzuzusetzen, aber kein Wort kam über ihre Lippen. Wie gebannt starrte sie ihn an und versank in seinen Augen, während der Rest der Welt um sie herum verblasste. Eine scheinbare Ewigkeit saßen sie reglos da, nicht in der Lage, sich zu rühren oder die wortlose Verbundenheit zu lösen, bis Roland sich schließlich vorbeugte und sein Gesicht zögernd näher an das ihre heranschob. Kurz bevor sich ihre Lippen berührten, hielt er inne und suchte ihr Gesicht nach einem Zeichen des Protestes ab. Doch da es genau das war, wovon sie all die Zeit geträumt hatte, legte Jeanne den Kopf in den Nacken und ließ ihn gewähren. Kaum berührte sein Mund den ihren, überzog sich jeder Quadratzoll ihrer Haut mit einer Gänsehaut und sie keuchte erstaunt auf. Roland ließ erschrocken von ihr ab. »Entschuldige«, stammelte er. »Das wollte ich nicht.« Die Verzweiflung, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, war beinahe komisch. Jeanne führte die Fingerspitzen an ihre brennenden Lippen und lächelte überwältigt. »Aber ich«, gestand sie schließlich und senkte schuldbewusst den Kopf. »Es war kein Zufall, dass ich ausgerechnet jetzt frische Luft schnappen wollte«, flüsterte sie. Roland setzte gerade zu einer Frage an, aber sie kam ihm zuvor. »Ich habe dich durch das Fenster
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