Im Reich des Vampirs
nachdenken, wo ich war, sonst würde ich zusammenbrechen. Ich musste mich auf meine Flucht konzentrieren. Wo war mein Armreif? Hatte man ihn mir hier unten abgenommen? Oder schon in der Gasse? Das konnte ich nicht gut fragen, aber ich musste es wissen.
»Warum?«
»Mir ist kalt.«
»Die Kälte ist dein geringstes Problem.«
Das stimmte. Selbst wenn es mir gelänge, mich zu befreien, wie sollte ich aus diesem Labyrinth herausfinden? Dunkle Gänge, überflutete Höhlen, ohne Kompass, ohne Orientierung. Obwohl ich dringend mehr über meine Kleider, den Armreif und den Speer erfahren musste, wagte ich nicht, weitere Fragen zu stellen. Damit hätte ich nur den Argwohn meines Entführers geweckt. Das Letzte, was ich wollte, war, dass das Gespenst etwas, was mir ansonsten das Leben retten könnte, wegschaffte. Wie funktionierte der Armreif? Konnte Barrons ihm bis in den Bauch der Erde folgen?
»Wer bist du? Was willst du?«, fragte ich.
»Ich will mein Leben zurückhaben«, sagte der Sensenmann. »Und im Gegenzug nehme ich dir deines. Genauso wie du mir meines gestohlen hast. Stück für Stück.«
»Wer bist du?«, wiederholte ich. Wovon redete dieses Ding?
Es hob eine Hand und schob die Kapuze zurück.
Ich schreckte zurück. Ich war so entsetzt, dass es mir die Sprache verschlug. Ich suchte in dem Gesicht nach etwas Bekanntem. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich es in den Augen sah.
Es waren tote, gelbe unmenschliche Augen.
Mallucé!
Es war sträflich voreilig gewesen, ihn vom Spielbrett zu fegen. Ein grauenvoller Irrtum! Der Vampir war nicht tot.
Sein Zustand war grauenvoller als der Tod.
Das Gespenst, das ich vom Fenster aus, hinter dem Haus oder auf dem Friedhof gesehen hatte, war Mallucé gewesen, der mich beobachtete. Jedes Mal, wenn ich den Sensenmann als Produkt meiner Fantasie abgetan hatte, war der Vampir ganz in meiner Nähe gewesen. Mir liefen eisige Schauer über den Rücken. Und ich hatte keine Ahnung gehabt, in welcher Gefahr ich schwebte. Er war in der Gasse hinter dem Haus gewesen, als die Schatten in den Buchladen eingedrungen waren, genau wie in der Nacht, in der ich die Fensterscheibe von Barronsâ Garage eingeschlagen hatte. Er hatte sich an meine Fersen geheftet, kurz nachdem ich ihn mit dem Speer verletzt hatte. Warum hatte er so lange gewartet?
Ich hatte Mühe, seinem Blick standzuhalten, und es gelang mir auch nur, weil ich mir den Rest seines grotesken Anblicks ersparen wollte. Kein Wunder, dass er sich verhüllte. Ich wandte mich ab. Es war unerträglich.
»Sieh mich an, Miststück. Das ist dein Werk. Du hast mir das angetan«, knurrte er.
»Das habe ich nicht«, widersprach ich prompt. Ich mochte nicht viel wissen, aber ich war mir ganz sicher, dass ich niemals jemandem so etwas angetan hatte, nicht einmal meinem ärgsten Feind.
»O doch. Und ich werde es dir um ein Vielfaches heimzahlen, bevor ich mit dir fertig bin. Du wirst sterben, wenn ich sterbe. Bis dahin mögen noch Wochen, vielleicht Monate vergehen.«
Ich richtete den Blick wieder auf die gelben Augen und versuchte, etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus.Das einst trotz der unnatürlichen Blässe hübsche Gesicht war vollkommen entstellt. »Ich habe das nicht getan«, beharrte ich. »Auf keinen Fall. Ich habe dir den Speer in den Bauch gebohrt â nichts weiter. Ich weià nicht, wie du so  ⦠so  â¦Â« Ich brach ab â das war besser für uns beide. »Bist du sicher, dass dir das nicht Barrons angetan hat?« Keine GroÃtat, Barrons alles in die Schuhe zu schieben, aber unter diesen Umständen war mir nicht nach GroÃtaten zumute. Ich fühlte mich klein und war verängstigt. Mallucé machte mich dafür verantwortlich, was aus ihm geworden war â und das, was aus ihm geworden war, war scheuÃlicher als alles, was ich je in einem Film oder meinen grausigsten Alpträumen gesehen hatte.
»Du hast mich mit dem Speer durchbohrt, der Feen töten kann, du Miststück!«
»Aber du bist kein Feenwesen«, protestierte ich. »Du bist ein Vampir.«
»Teile von mir waren die eines Feenwesens«, zischte er.
Sein Mund schloss sich nicht ganz, und Speichel spritzte durch die Gitterstäbe und landete auf meiner Haut. Er brannte wie Säure. Ich wischte meine Arme am T-Shirt ab.
»Was?« Wie konnten Teile von jemandem von
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