Im Reich des Vampirs
Feenwesen stammen? Aber genauso sah es aus. Als hätte der Speer Teile von ihm abgetötet. An manchen Stellen war sein Gesicht noch marmorweià und schön, andere waren von leprösen Geschwüren zerfressen. Eine schwarze Ader verlief über seine rechte Wange und das Kinn zum Hals; die nässende Wunde über dem linken Auge schimmerte grau; das Kinn und die Unterlippe bestanden aus faulig feuchtem, eitrigem Fleisch. Es war schauerlich. Trotzdem konnte ich den Blick nicht abwenden. Sein langes blondes Haar war ausgefallen â den aufgeblähten Schädel durchsetzte ein Gespinst aus dünnen schwarzen Adern.
Jetzt war mir klar, warum meine Hand in seinen Bauch eingesunken war â nicht nur sein Kopf, sondern auch der Körper war teilweise verfault. Das alles erklärte seinen eigenartigen Gang und die undeutliche Aussprache. Verrotten auch seine Eingeweide? Angewidert wischte ich mir die Hand an meiner Jeans ab.
»Sieh mich an«, forderte er, seine gelben Augen wie zwei brennende Laternen in dem missgestalteten Schädel. »Betrachte mich genau. Schon bald wird dein Gesicht genauso sein. Wir werden vertraut miteinander, sehr vertraut. Wir werden gemeinsam sterben.« Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »WeiÃt du, was das Schlimmste ist?« Er wartete nicht auf eine Antwort. »Anfangs denkt man, man beobachtet, wie sich Teile von einem infizieren. Man starrt in den Spiegel, stochert mit dem Finger in die weichen Stellen des eigenen Fleisches. Man fragt sich, ob man den Brei herauskratzen oder in Ruhe lassen soll. Bandagieren. Ein wenig später wird einem klar, dass die Wange, das Ohr oder die Stellen am Bauch nicht mehr heilen werden. Man verliert sich stückweise. Erst glaubt man, man könne damit leben, doch dann verliert man das nächste Stück und das nächste, und das Schrecklichste ist nicht der Morgen, wenn man aufwacht und entdeckt, dass wieder ein Teil abgestorben ist, sondern die Nächte, wenn man wach liegt und Angst vor dem hat, was man am Morgen vorfindet. Ist es die Hand? Ein Auge? Wird man blind, bevor man stirbt? Ist es die Zunge? Mein Schwanz? Meine Hoden? Nicht die Realität vernichtet einen, sondern die Möglichkeiten. Das Warten, die Stunden, die man wach liegt und überlegt, was auf einen zukommen wird. Nicht der Schmerz des Augenblicks, sondern das Erwarten des Schmerzes.
Nicht das Sterben selbst â das wäre eine Erlösung â, sonderndie Verzweiflung, weil man am Leben bleiben muss, der dämliche, verdammte Zwang, sich weiterzuschleppen, obwohl man die Kreatur, die aus einem geworden ist, längst hasst und es nicht mehr ertragen kann, sich selbst anzusehen. Du wirst dasselbe fühlen, bevor ich mit dir durch bin.« Seine verfaulten, einst wohlgeformten, rosigen, festen Lippen entblöÃten die Fänge. »Sieh mich an. Ich habe Jahre als Toter gelebt, den Toten für sie gespielt. Mich als prunkvoller Gothic in Samt und Spitze präsentiert und mich in den Geruch von Sex gehüllt, um meine Anhänger zu verführen. Ich habe sie mehr berauscht, als es jede Droge vermag, und tanzte mit ihnen in den Tod. Ich habe ihnen die Kehle aufgerissen und ihr Blut getrunken, und sie legten sich unter mich, während sie ihr Leben aushauchten. Wird für mich niemand dasselbe tun? Wird niemand mit mir in die Dunkelheit tanzen?«
Mir fehlten die Worte.
Sein Lächeln war grausig, das Gelächter noch schrecklicher: feucht und grausam. Er breitete die Arme aus, als wollte er einen Walzer tanzen. »Willkommen, Tanzpartnerin. Willkommen auf meinem Ball in der Grotte der Hölle. Der Tod ist nicht verführerisch. Er kommt nicht in Seide gewandet und süà duftend, so wie ich ihn früher verkörpert habe. Er ist einsam, kalt und gnadenlos. Er nimmt dir alles, bevor er dich endlich holt.« Er lieà die Arme sinken. »Ich hatte alles. Die Welt lag mir zu FüÃen. Ich habe alles gevögelt, was und wann immer ich wollte. Man hat mich angebetet, ich war reich und kurz davor, einer der mächtigsten Männer der Welt zu werden. Ich war die rechte Hand des Lord Masters und jetzt bin ich ein Nichts. Durch deine Schuld.«
Er zog sich die Kapuze über den Schädel, zupfte sie zurecht und ging. »Denk darüber nach, hübsches Miststück«,rief er über die Schulter, »dass deine Schönheit bald dahin sein wird. Denk an das Aufwachen am Morgen und die
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