Im Reich des Vampirs
alle, die es nur berührten, zugrunde richtete? Hatten Symbole und Worte wirklich eine solche Macht? Konnten Kritzeleien auf Pergament die Moral eines Individuums zerschlagen? Waren wir nicht aus härterem Holz geschnitzt?
Ich hatte keine Eile, mehr darüber herauszufinden. Die beiden Zusammentreffen mit dem Dunklen Buch hatten mir unvorstellbare Schmerzen bereitet und mich in die Bewusstlosigkeit gestürzt. Danach hatte ich mich schwach wie ein Baby gefühlt und den Wunsch verspürt, nie auf dieses Schachbrett geraten zu sein.
Wo war der Unseelie-König bei alldem?
Nahm er an den Vorgängen teil oder war er der abwesende Herrscher?
Wenn mein Buch mit schwarzer Magie abhandengekommen wäre, wäre ich unterwegs, um danach zu suchen, darauf könnte jeder seine Petunie verwetten. War er unterwegs? Warum hatte er mich noch nicht aufgespürt? Allen anderen war das gelungen. Wie war ihm das Buch eigentlich abhandengekommen?
Und was das betraf â war es ihm überhaupt abhandengekommen? Was, wenn es nur ein Köder an einer sehr langen Schnur war? Und wenn ja, wonach angelte er? War der Lord Master selbst nur eine Bauernfigur, die von einer viel dunkleren, unaussprechlich alten Hand gelenkt wurde? War das Schachbrett gröÃer, als ich erkennen konnte? Waren wir alle Figuren in einem wesentlich gröÃeren Spiel, als wir ahnen?
Irgendwo auf dem Brett wurde das Sinsar Dubh hin und her gerückt. Wer verschob es? Wie wurde es bewegt? Und warum?
Und was für ein boshafter Witzbold â das würde mich wirklich sehr interessieren â erschuf etwas wie mich, jemanden, der das gefährlichste aller Relikte spüren konnte und die fatale Schwäche hatte, jedes Mal, wenn er auch nur in die Nähe kam, in Ohnmacht zu fallen?
Ich bestellte noch einen Whisky und kippte ihn herunter, vollzog das Ritual, das ich schon so oft an der Bar beobachtet hatte: schlucken, schaudern, atmen.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
Ich schaute auf. Es war der Junge mit dem schottischen Akzent aus dem Institut für Altsprachen im Trinity College; »Scotty«, der mir die Einladung für die illegale Auktion gegeben hatte. Die Welt war klein. Und alle wollen mir weismachen, dass Dublin so groà ist.
Ich zuckte mit den Schultern. »Klar, warum nicht?«
»Vielen Dank«, erwiderte er trocken.
Ich vermutete, dass er an so gleichgültige Reaktionen von Frauen gewöhnt war. Er hatte in etwa dasselbe Alter wie der Junge mit den verträumten Augen, der in derselben Abteilung wie er arbeitete, aber damit endete auch schon jede Ãhnlichkeit. Sein Kollege hatte eine samtene Haut, stand auf der Schwelle vom Kind zum Mann, Scotty war breiter,muskulöser und wirkte durch die Art, wie er ging und sich bewegte, reifer. Seine gelassene Selbstsicherheit lieà darauf schlieÃen, dass er, selbst in seinem zarten Alter, schon auf die Probe gestellt worden war.
Er war mindestens eins achtundachtzig und hatte langes dunkles Haar, das er zu einem Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden hatte. Goldene Tigeraugen musterten mich abschätzend. Ãstrogen reagierte auf Testosteron â dieser Junge war ein Mann â und ich setzte mich ein bisschen aufrechter hin.
»Auf guten Scotch und schöne Mädchen.« Er stieà mit seinem Whiskyglas an meinen Bierkrug und wir tranken. Ich spülte das Bier mit einem dritten Whisky herunter: schlucken, schaudern, atmen. Die Kälte in meinem Magen â der Platz, an dem die Einsamkeit spürbar war â erwärmte sich endlich.
Er streckte die Hand aus. »Ich bin Christian.«
Ich ergriff sie. Meine Hand verschwand in seiner. »Mac.«
Er lachte. »Du siehst nicht aus wie eine Mac.«
»Okay, ich gebâs auf. Warum sagen das alle? Wie sehe ich denn aus?«
»In den meisten Teilen der Welt ist Mac ein Männername und du, Mädchen, siehst nicht aus wie ein Mann. Dort, wo ich herkomme, stellt man sich vor als âºvom Clan der  â¦â¹ und ich warte noch auf den Rest des Namens.«
»Du bist aus Schottland.«
Er nickte. »Vom Clan der Keltar.«
Christian MacKeltar. »Schöner Name.«
»Danke. Ich habe dich beobachtet, seit du hereingekommen bist. Du wirkst  ⦠nachdenklich. Und wenn ich mich nicht irre, war das dein dritter Whisky. Wenn ein schönes Mädchen allein trinkt, mache ich mir Sorgen. Ist alles okay mit dir?«
»Ich hatte nur
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